Lesung in Wegberg Haase-Hindenberg erzählt jüdische Lebensgeschichten

Wegberg · Im Rahmen der Interkulturellen Woche war der Schauspieler und Autor in Wegberg zu Gast. Mit seinem Buchtitel „Ich bin noch nie einem Juden begegnet" will Haase-Hindenberg auch provozieren.

Gerhard Haase-Hindenberg sprach in der Wegberger Mühle über jüdische Lebensgeschichten.

Foto: Renate Resch

Gerhard Haase-Hindenberg verschafft sich auch ohne Mikrofon Gehör. „Ich bin Theaterschauspieler und stand auf der Bühne der Salzburger Festspiele", sagt der 71-Jährige lachend. „Dann werde ich das hier auch schaffen." Sein Buch „Der Mann, der die Mauer öffnete" lieferte die Grundlage für den preisgekrönten TV-Film „Bornholmer Straße", in dem er selbst die Rolle eines Fernsehreporters übernahm. 2007 mimte er Hermann Göring an der Seite des Hauptdarstellers Tom Cruise im Hollywood-Kinofilm „Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat". Doch darum geht es bei der gut besuchten Autorenlesung im Rahmen der Interkulturellen Woche in der voll besetzten Mühle nicht.

Es geht um jüdische Lebensgeschichten, die der aus Schweinfurt stammende Autor, der heute in Berlin-Charlottenburg lebt, gesammelt und aufgeschrieben hat – zunächst für die Jüdische Allgemeine in der Reihe „Porträt der Woche", dann als Buch mit dem ungewöhnlichen Titel „Ich bin noch nie einem Juden begegnet".

Die Aussage auf dem 2021 erschienenen Werk erregt Aufsehen, provoziert. Und das soll sie auch. Denn Haase-Hindenberg verfolgte damit einen gewissen Plan, der der Sammlung jüdischer Lebensgeschichten zum Erfolg und Bekanntwerden verhelfen sollte. Die Überlegung des Autors: Einen Buchtitel finden, „mit dem man die Leute, die in den Buchhandlungen stöbern, dazu kriegt, das Buch in die Hand zu nehmen und die Rückseite zu lesen".

Rund eineinhalb Stunden lang macht Haase-Hindenberg, der auf Einladung der Volkshochschule in den Kreis Heinsberg kam, seine zahlreichen Zuhörer bekannt mit den jüdischen Frauen und Männern aus seinem Buch, die die Nachkommen der Shoah-Überlebenden sind. Mit Marion, deren Großmutter Hüte am Kurfürstendamm verkaufte und deren Großvater als gelernter Konditor exquisite Torten in die vornehmen Berliner Privathaushalte lieferte – bis die Nazis die Familie zu einer wahren Odyssee zwangen, deren erste Station Shanghai war. „Jüdische Kindheit in der Kreisstadt" – so hat der Wahl-Berliner das Kapitel überschrieben, das von Manfred Levy handelt, der im saarländischen Bad Homburg aufwächst und in der Schule vor allem ein Problem hat: Der Schulhof ist aufgeteilt in einen katholischen und einen protestantischen Teil. Der jüdische Junge fühlt sich in beiden Teilen fremd.

„Ich möchte, dass wir uns zwischendurch unterhalten", fordert Haase-Hindenberg zum Fragenstellen auf. Wie der Umgang mit jüdischen Familien nach dem Krieg war, möchte eine Zuhörerin wissen. „Sehr viele jüdische Familien haben nicht darüber gesprochen. Es gab große Vorbehalte", erklärt er. Und weiter: „Selbst in Israel war der Holocaust bis zur Verhaftung Adolf Eichmanns 1961 nicht Schulstoff." Ab diesem Zeitpunkt habe ein Umdenken eingesetzt.