Hückelhoven/Wegberg Vor 20 Jahren: Siemens statt "Hollyrath"

Hückelhoven/Wegberg · Nach dem Aus für den Flugplatz 1992 sollten in Wildenrath gigantische Filmstudios Hollywood Konkurrenz machen. Doch es kam anders. Anfang 1995 fiel die Entscheidung, dort das weltweit modernste Zuglabor einzurichten.

 Für das Wirtschaftsministerium des Landes NRW gilt das Testzentrum Wildenrath als das erfolgreichste Beispiel für gelungene Wiedereingliederung von ehemals militärisch genutzter Flächen in den Wirtschaftskreislauf.

Für das Wirtschaftsministerium des Landes NRW gilt das Testzentrum Wildenrath als das erfolgreichste Beispiel für gelungene Wiedereingliederung von ehemals militärisch genutzter Flächen in den Wirtschaftskreislauf.

Foto: Jürgen Laaser

Auch ein Oscar-Preisträger ist schon mal schwer genervt: Volker Schlöndorff, als Regisseur der "Blechtrommel" in Hollywood höchst dekoriert, schimpfte in der ZDF-Kultursendung "Aspekte" am 31. August 1993 über das Land Nordrhein-Westfalen, dass es mit gigantischen Filmstudios auf dem ehemaligen NATO-Flugplatz Wildenrath alle anderen deutschen Studios kaputt machen würde. Seine Aufregung war überflüssig: Im Frühjahr 1995, vor 20 Jahren, fiel die Entscheidung, dass das Gelände der Firma Siemens für ein Prüfcenter und weiteren Unternehmen als Gewerbepark zur Verfügung gestellt würde.

 Oliver Hagemann (46) wohnt in Krefeld.

Oliver Hagemann (46) wohnt in Krefeld.

Foto: Siemens

Warum überhaupt hatte sich Schlöndorff aufgeregt? Weil er sich seit einem Jahr daran abarbeitete, die Potsdam-Babelsberger DEFA-Studios als Produktionsunternehmen in der Marktwirtschaft zu etablieren. Und da kamen ihm die Pläne von NRW für Wildenrath völlig ungelegen. Diese damals nicht in der Öffentlichkeit gehandelten Planungen in der Düsseldorfer Regierung von Ministerpräsident Johannes Rau und den für Medien zuständigen Chef seiner Staatskanzlei, Wolfgang Clement, waren in der Tat furchterregend für die cineastische Konkurrenz: 600 Hektar Fläche, das sind sechs Millionen Quadratmeter, riesige Hangars, die schon als Film-Studiohallen ihre Bewährung auf Grund ihrer Höhe und Ausdehnung bewiesen hatten. Schlöndorff meinte, dass diese Dimension zehnmal so groß wie die Bavaria-Studios in München und sogar noch doppelt so groß wie die Hollywoodstudios gerechnet werden müssten.

Wolfgang Clement wollte NRW damals zum führenden Medienland in Europa machen. Wildenrath hatte er zunächst auch deshalb ganz oben auf dem Schirm, weil im Kreis Heinsberg dringend neue Arbeitsplätze gebraucht wurden. Fast 400 Zivilangestellte des Flugplatzes standen auf der Straße, die in Bonn beschlossene Schließung der Zeche Sophia-Jacoba tat einen Bedarf von 5000 neuen Jobs auf, das Enka-Glanzstoffwerk in Oberbruch war von 7000 auf weniger als 2000 Mitarbeitern geschrumpft.

Und der Film sollte 350 bis 3500 Arbeitsplätze bringen, wenn man heute in Babelsberg 2000 und München auch etwa 2000 Jobs sieht, war das im Bereich des Möglichen, denn vor 20 Jahren hatten Berlin und München nur wenige Hundert Beschäftigte. NRW hätte nur drei Millionen D-Mark, so die Berechnungen, in die Aufbereitung der baulichen Infrastruktur investieren müssen. Seine Tauglichkeit als Cinecitta (Filmstadt in Rom) hatte das Gelände schon bewiesen - der WDR hatte "Brandheiß"-Fernsehspiele, das ZDF das Fernsehspiel "Wilde Jahre", eine Düsseldorfer Produktionsfirma den Spielfilm "Decadence" mit "Denver"-Biest Joan Collins in der Hauptrolle gedreht, die die Arbeitsbedingungen in Wildenrath als besser als in den MGM-Studios bezeichnete. Diese Informationen lieferte das "Funkfenster" als Zeitschrift der Landesanstalt für Rundfunk in seiner Ausgabe im September 1993, das aber angesichts der damaligen "Krise des deutschen Films" fragte, ob "Wildenrath zu einem zweiten Babelsberg zu werden droht?" Volker Schlöndorff stand also einem Pleiteunternehmen vor, das bis heute mehrfach den Eigentümer wechselte.

Anfang 1995 stand fest, dass das Filmprojekt Wildenrath nicht umgesetzt wird: Die Landesinvestitionen gingen in den Moviepark nach Bottrop, wo neben dem Freizeitpark auch Studios eingerichtet wurden. Da stand der Druck von SPD-Landtagsabgeordneten des Ruhrgebiets auf "ihren" Staatskanzleichef hinter. Es wurden am Moviepark zwar Studios geschaffen, aber in einem gegenüber den Plänen für Wildenrath bescheidenen Maß - und die stehen die meiste Zeit leer.

(isp)
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