Theater im Forum Wegberg Die Welt in der Gewalt von Jägern

Wegberg · Harte Kost für das Publikum im Forum Wegberg. Das Euro-Studio Landgraf zeichnet mit seiner Aufführung von Arthur Millers „Hexenjagd“ ein erschreckendes Bild: Es sind noch immer die Mächtigen, die die Wahrheit bestimmen.

 Pastor und Hexenexperte John Hale (Christian Meyer) verhört gewaltsam Haussklavin Tituba (Ines Reinhard).

Pastor und Hexenexperte John Hale (Christian Meyer) verhört gewaltsam Haussklavin Tituba (Ines Reinhard).

Foto: Dietrich Dettmann

Das die Bühne dominierende Kreuz verliert mehr und mehr die Farbe der Unschuld. Ursprünglich weiß, wird es dunkelrot, getränkt vom Blut der Gehenkten. Eindrucksvoll symbolisiert diese Veränderung die Thematik des Stücks: Die Hexen müssen getötet werden, im Sinne des wahren Glaubens. Die Hexenjagd macht ihnen den Garaus. Aber warum eigentlich?

Jene Hexenjagd hat tatsächlich im 17. Jahrhundert im Dorf Salem irgendwo in Amerika stattgefunden. Miller hat die Prozessakten studiert und als Grundlage für sein Schauspiel verwendet. Das spielt jedoch in einer Zeit, in der es eine andere Form der Hexenjagd in den USA gab: Als nämlich in den 1950er-Jahren während der McCarthy-Ära unverhohlen von den „anständigen“ Bürgern Jagd gemacht wurde auf die Anderen, die Bösen, die politisch Andersdenkenden. Doch lässt es die Inszenierung von Volkmar Kamm nicht dabei bewenden. Sie verweist auch auf die Gegenwart, auf die Aktualität.

„Hexen gab es schon damals nicht, aber immer noch ist die Welt in der Gewalt von Jägern“, sagte Wolfgang Seidenberg nach der Aufführung. Er spielt den Bauern John Proctor, der als Letzter gehenkt wird. Proctor zeigt die Lüge auf, die zur Wahrheit geworden ist. Nicht nur er verzweifelt daran, sondern auch seine schwangere Frau Elisabeth (Iris Boss) sowie der Pastor und Hexenexperte John Hale (Christian Meyer). Der fleht Proctor nahezu an, zu lügen und sich zur Hexerei zu bekennen, damit er nicht gehenkt werde. Weil Proctor aber bei der Wahrheit bleibt, verwehrt ihm Richter Danforth (ebenfalls Carsten Klemm) die angebotene Begnadigung, durch die die Hexenjäger ihr Gesicht hätten wahren können.

Ein verblendeter Samuel Parris, Pfarrer in Salem (Ralf Grobel), will die Hexerei gesehen haben, als er seine Tochter Betty Parris (Rebecca Selle), seine Nichte Abigail Williams (Hannah Prasse) und Mary Warren (Sophie Schmidt) beim mitternächtlichen nackten (!) Tanzen mit der Haussklavin Tituba erwischt. Das wird ebenso Teufelswerk sein wie der Tod seiner sieben Kinder kurz nach der Geburt – behauptet zumindest Großgrundbesitzer Thomas Putnam (Carsten Klemm). Die Mädchen und die Haussklavin müssen vom Teufel verhext worden sein. Sie können sich vom Fluch befreien, wenn sie bekennen und andere benennen: ‚Rette dein Leben, indem du ein anderes zerstörst’. Da werden Denunziation und Lüge schnell zu wichtigen Machtinstrumenten.

 Carsten Klemm, Alexander Kuchinka, Ralf Grobel, Iris Boss, Christian Meyer und Wolfgang Seidenberg (v.l.) performen vor einem mittlerweile roten statt weißen Kreuz.

Carsten Klemm, Alexander Kuchinka, Ralf Grobel, Iris Boss, Christian Meyer und Wolfgang Seidenberg (v.l.) performen vor einem mittlerweile roten statt weißen Kreuz.

Foto: Dietrich Dettmann

Abigail, von Proctor vor Monaten verführt worden, sieht die Chance, die Frau an seiner Seite zu werden. Putnam wittert die Chance, noch reicher zu werden. Die Angst zieht ein in Salem. Die Lüge, jemand habe Hexenwerk betrieben, bestimmt das Geschehen. Schließlich sind mehr als 400 Menschen in Haft, sind schon 72 Leben durch den Strang beendet worden.

Das Denunzieren, das Lügen, das Verbreiten von nachweislich falschen Anschuldigungen, wird zur Methode. Die Mächtigen, in diesem Falle die Kirche und der Großgrundbesitzer, bestimmen, was wahr ist. Eine Erkenntnis, die heutzutage immer mehr Raum gewinnt. Nicht das, was ist, ist wahr, sondern nur das, was der Mächtige als wahr erachtet. Wer ihm und seiner Wahrheit nicht folgt, ist böse, eine Hexe, ein Anderer – und es ist legitim, ihn zu vernichten. Die Angst regiert – bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Zerstörung überhand gewinnt. Dann ist es zu spät. Nicht nur in Salem im Jahre 1692, oder im Jahr 1953, dem Jahr der Uraufführung von Millers Schauspiel Hexenjagd, sondern auch in heutigen Zeiten, in denen Populisten und Nationalisten ihre Macht als Wahrheit missbrauchen. Wer anders denkt, lügt. Es kann nur einen Glauben geben. Meinungsvielfalt ist Hexenwerk.

Das Publikum im Forum dankte mit langem Beifall nach einer Inszenierung, die mit wenigen Mitteln auf einer spärlich ausgestatteten Bühne auskam und die den Besuchern thematisch viel abverlangte.

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