Weihnachtsgeschichten aus Wegberg Was Ihr einem meiner Brüder…
Serie | Wegberg · Die Wegberger Autorengruppe Siebenschreiber schenkt unseren Lesern sieben Weihnachtsgeschichten, so wie diese von Annemarie Lennartz.
Ein kalter sonniger Morgen in der Adventszeit. Kathrin verlässt gut gelaunt den Bahnhof und freut sich. Die Kinder sind bei den Großeltern gut untergebracht und sie kann in aller Ruhe den Tag genießen. Weihnachtseinkäufe macht sie gern. Allein die Vorfreude, was ihre Lieben wohl von den Geschenken sagen werden, bereitet Kathrin ein Wohlgefühl. Dann sind da noch die schicken Stiefel, die sie letzte Woche im Schaufenster gesehen hat. Die sollen heute mit ihr nach Hause fahren. Urlaubstag, ich komme!
Vor dem Bahnhofsgebäude gerät sie in eine Gruppe von Männern, die morgens schon die Flaschen kreisen lässt. Kathrin ist mit sich und ihrer Meinung uneins. Einerseits denkt sie, diese Leute sollen arbeiten, andererseits fragt sie sich, was ist ihnen in der Vergangenheit begegnet, dass sie zu diesem Leben gebracht hat.
Nein, Kathrin will heute nicht darüber nachdenken, sie möchte ihren freien Tag genießen und Geschenke kaufen. Sie biegt in die Fußgängerzone ein und bummelt an den Schaufenstern vorbei. Sie weiß, was sie sucht. Bald sind schon einige Dinge in ihren Shopper gewandert. In der Geschäftsstraße sieht Kathrin Obdachlose, die bettelnd an Ecken stehen oder an Hauswänden hocken. Sie greift in die Manteltasche zu den Münzen, die sie immer bei sich trägt und legt sie in die bereitgestellten Schalen.
Auf der Treppe zur alten Basilika kauert ein junger Mann. Vor sich hält er einen Pappkarton, worauf er um Hilfe bittet. Kathrin bleibt stehen, sieht ihn an. Seine ganze Haltung zeigt, wie demütigend diese Situation für ihn ist. Er schämt sich, sieht aber keine andere Chance.
Kathrin schämt sich auch. Darüber wie gut es ihr geht, darüber wie geborgen und sicher sie lebt, darüber wie selbstverständlich sie ihr Glück annimmt. Sie geht weiter. Doch die Lust am Einkaufen, Genießen, und die schicken Stiefel sind ihr vergangen. Die Gedanken an den jungen Mann lassen sie nicht los. Es ist kalt, wo schläft er, hat er wenigstens einen warmen Schlafsack? Kann sie, Kathrin, ihm nicht helfen? Soll sie den Mann ansprechen? Wie wird er darauf reagieren?
Kathrin kehrt zur Basilika zurück. Dort angekommen, sucht sie den jungen Mann. Er ist nicht da. Auf den Stufen sitzen junge Leute, die miteinander schwatzen und lachen. Kathrin fragt sie nach ihm. Kopfschütteln, nein, sie haben ihn nicht gesehen. Kathrins Herz wird schwer. Eilig geht sie in Richtung Bahnhof. Vielleicht findet sie ihn auf dem Weg dorthin. Sie findet ihn nicht. Niedergeschlagen besteigt sie den Zug, der sie nach Hause bringt.