Stadtpark in Wassenberg Heimatnahes Freizeitziel Judenbruch

Wassenberg · „Von der Sumpflandschaft zum Stadtpark – Judenbruch und Marienhaus“, so heißt eine Führung, die Walter Bienen anbietet.

 Walter Bienen berichtete von dem einzigen Baum in der ehemaligen Parklandschaft, der einen Namen hatte. Der rund 150 Jahre alte „Jörtze Jong“ hatte im März dem Sturm nicht standhalten können und war geborsten.

Walter Bienen berichtete von dem einzigen Baum in der ehemaligen Parklandschaft, der einen Namen hatte. Der rund 150 Jahre alte „Jörtze Jong“ hatte im März dem Sturm nicht standhalten können und war geborsten.

Foto: Ruth Klapproth

Das Fernsehen siedelt immer mehr Serien und Filme geografisch im alpinen Bereich an, obgleich die krachlederne Idylle als Heimatmetapher schon einigermaßen verblasst. Höhendifferenzierte Landschaften sind allerdings reizvoll – am Niederrhein sind Hang- und Berglagen eher selten, allein die Rurterrasse bietet Differenzierungen, und die zeigen sich im Wassenberger Judenbruch in großer Vielfalt.

Wobei ein Bruch, auch Broich, im Niederdeutschen eine Sumpflandschaft meint, also eine Ebene, aus der das Wasser nicht abfließen und nicht versickern kann. Das Besondere am Wassenberger Judenbruch ist die Hanglage, die dennoch eine Reihe von Weihern aufbieten kann – Ergebnis einer bewussten Gestaltung. Und die zeigt der neue Vorsitzende des Heimatvereins, Walter Bienen, in seiner Führung „Von der Sumpflandschaft zum Stadtpark – Judenbruch und Marienhaus“.

Das Judenbruch ist ein Hochwald mit rauen und glatten Stämmen, mit Durchsicht, ein Mischwald mit einheimischen Laub- und Nadelbäumen, mit Exoten, die hier eine neue Heimat gefunden haben, und das schon vor 150 Jahren. Für das Alter eines großen Teils der Bäume legt Zeugnis ab die wohl einzige Buche weit und breit, die einen Eigennamen hat: „dr Jong“ (der Junge), vielmehr hatte, denn am 10. März pustete Sturm „Eberhard“ sie mit etwa 100 Stundenkilometern einfach um, und gab ihre Jahresringe frei – Walter Bienen zählte 150 davon. Und legte damit auch Zeugnis davon ab, dass der Wald weitgehend eine geschaffene Kulturlandschaft ist, ein Park, den ab dem 19. Jahrhundert die Burg- und Judenbruchbesitzer Packenius und Forckenbeck anlegen ließen im Sumpf- und Ödland mit geringem Baumbesatz.

Der höhere Verwaltungsbeamte Oskar von Forckenbeck aus dem Ostwestfälischen heiratete 1860 Maria Packenius, Tochter des schwer reichen Wassenberger Bürgermeisters und Burgbesitzers Alexander Packenius. Der Kleinadelige kündigte sofort den Job und packte zwischen Weltreisen das Projekt „Judenbruch-Park“ an. Und die Exoten-Baumsamen oder -Setzlinge brachte er mit. Von denen ist allerdings heute nur noch ein Bruchteil zu erleben, im 20. Jahrhundert ließ ein Käufer des Judenbruchs allein 200 Exoten fällen – er war Holzhändler. Heute sind erkennbar noch die südeuropäische Edelkastanie, die ostasiatische Sicheltanne, die nordamerikanische Douglasie und unter anderem die Edelkastanie aus dem Mittelmeerraum.

Erkennbar sind sie an ihrer Beschilderung – ein Arbeitskreis des Heimatvereins Wassenberg ist seit Jahren in den innerstädtischen Parks und Grünanlagen des früheren Luftkurorts mit Blechschildchen und Werkzeug unterwegs, um die Arten zu kennzeichnen. Natürlich steckt das Judenbruch voller heimischer Baum- und Strauchpflanzen.

Forckenbeck war Romantiker, die Waldliebe rührte auch daher. Er zitiert in einem Brief den Lyriker Emanuel Geibel: „Mit dem alten Förster heut, bin ich durch den Wald gegangen, während hell im Festgeläut, aus dem Dorf die Glocken klangen.“ Waldgang und Glockengeläut kennzeichnen das Judenbruch heute allemal, die mächtigen Glocken der nahen Georgskirche sind an jedem Punkt zu hören, zahlreiche Bänke bieten Ruhezonen ebenso wie die Wasserläufe und -flächen, die den besonderen Reiz dieses in der Region ziemlich einmaligen Biotops ausmachen.

Allerdings sieht Walter Bienen durchaus Verbesserungsmöglichkeiten: „Die Weiher sind äußerst verschmutzt, früher lebten hier Speise- und Zierfische, die radikal verschlechterte Wasserqualität hat ihren Lebensraum zerstört.“ Dabei hat die Stadt hier einen Ort für ihr „Glücks“-Konzept ausgemacht, wie ein Schild ziemlich weit oben ausweist, ihn als „Park des Glücks“ benennt, einige Tipps zum Glück bringenden und die Natur schonendem Verhalten gibt. Über Jahre waren nach den Recherchen Wassenberger Heimatforscher vor allem zwischen 1870 und 1890 rund 20 Menschen dauerhaft mit der Entwicklung des Parks beschäftigt, es wurden Wege angelegt, Bäche und Weiher auf verschiedenen Höhenlagen gestaltet, Kleinhügel als Ruhezonen eingerichtet, die heute noch ihre Funktionen erfüllen.

Und wie jeder gute Wald hat auch das Judenbruch seine dunklen Seiten, nicht nur bei Nacht: Ein Mord und ein Selbstmord, zwei Leichen, die eine hing im Baum, die andere lag zugedeckt im Unterholz. Am Baum hing der Namensgeber der Buche „dr Jong“, ein Mann namens „Jörtze Jong“ (Görtz), ein für den Wald zuständiger Mitarbeiter eines kleinen Nonnensanatoriums namens „Marienhaus“, von Depressionen geplagt.

 Heimatlogo-Herz_SERIE

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Foto: RP/Podtschaske , Alicia

Im Unterholz lag der Leichnam einer Frau, die von einem Wassenberger Metzger ermordet worden war. Sie war von ihm schwanger. Das ist alles Jahrzehnte her, neuere Vorkommnisse hat es nicht gegeben. Spaziergängern und Wanderern steht ungetrübtes Vergnügen offen, die vielen Wege und Kreuzungen ermöglichen Strecken unterschiedlicher Längen und „Schwierigkeitsgrade“.

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