Wassenberger Waldkindergarten Mit allen Sinnen von Mutter Natur lernen
Wassenberg · Die meiste Zeit verbringen die zwei- bis sechsjährigen Besucher des Wassenberger Waldkindergartens an der frischen Luft. Leiter Holger Eilert erklärt, welche Kernkompetenzen den Kindern über die Naturpädagogik vermittelt werden.
Spielen mit Stöcken, Bucheckern oder Erde, bei Wind und Wetter in der Natur sein sowie Bewegung den ganzen Tag: So in etwa verbringen die Waldpiraten des Waldkindergartens in Wassenberg ihre Wochentage. Die zwischen zwei- und sechsjährigen Erdwichtel und Wurzelzwerge, wie die Kindergruppen heißen, begeben sich schon früh morgens für ihren Morgenkreis an einen ihrer 15 festen Plätze in den Wassenberger Wald. Bepackt mit ihren kleinen Rucksäcken und naturfester Kleidung verbringen sie ihre Zeit an der frischen Luft und kreieren ihr Spielzeug aus dem, was Mutter Natur ihnen bietet. Der Wald stellt für die Kinder ein Entwicklungs- und Erlebnisraum dar, der einer ständigen Veränderung durch die Jahreszeiten und den Wetterbedingungen unterliegt und damit viel Potenzial für ein sinnliches und kreatives Lernen bietet.
Die Waldpädagogik legt großen Wert auf die Zusammenarbeit mit den Eltern, denn nur wenn sie Vertrauen zu den Erziehenden aufbauen, dann könne eine Eingewöhnung ihrer Kinder in den Kindergarten gedeihlich sein, erklärt Kindergartenleiter Holger Eilert. In der Eingewöhnungsphase liegt der Fokus bei den neuen Zweijährigen, den sogenannten Nesträubern, im Beziehungsaufbau zu den Betreuenden. Insgesamt zwölf Erziehende, darunter vier Männer, umsorgen die großen und kleinen Waldpiraten. Und auch ein Therapiehund gehört dazu.
Dennoch trifft die Natur- und Waldpädagogik auf viele Vorurteile. Holger Eilert erklärt seinen Standpunkt zum Bildungssystem: „Ich glaube, dass wir als Gesellschaft den Fokus sehr stark auf die kognitive Bildung der Kinder legen. Die Erwartungshaltung ist, dass Kinder bereits einen Begriff von Zahlen haben, ihren Namen schreiben können und damit einen Bezug zu Buchstaben besitzen. Das ist der Bildungsbegriff, den wir als Gesellschaft momentan prägen.“ Um es auf den Punkt zu bringen, sagt er: „Es gibt Kinder, die können auf Englisch bis dreißig zählen, aber kommen mit sich selbst nicht klar.“ Diese Situation begünstige wiederum Probleme in der Schule, da den Kindern wesentliche Kernkompetenzen fehlen.
Holger Eilert, der auch Ansprechpartner des Bundesverbandes der Natur- und Waldkindergärten ist, erklärt diese Kompetenzen. Die wichtigsten davon seien, ein eigenes Selbst und eine Persönlichkeit zu entwickeln, aber auch das Erlernen von Sozialverhalten. Tatsächlich schneidet der Waldkindergarten bei der Sprachausbildung am besten ab, da die Kinder beim gemeinsamen Spielen mit ihrem natürlichen Spielmaterial weitaus mehr kommunizieren müssen. Besonders fördere der Waldkindergarten allerdings die Entwicklung eines Selbstkonzeptes des Kindes, also eines gefestigten Selbstwertgefühls: „Das ist etwas, das der Waldkindergarten par excellence kann: Kindern das Gefühl geben, dass sie etwas können. Der Wald birgt viele Herausforderungen, die die Kinder meistern“, verdeutlicht Holger Eilert, der im Jahr 2018 gemeinsam mit Elisabeth de Vos den Kindergartenträger Kunterbunt Familienservice GmbH initiierte. Dem Träger unterstehen nicht nur „Die Waldpiraten“ in Wassenberg, sondern auch „Die Waldwichtel“ in Wegberg.
Selbstverständlich lernen die Vorschulkinder die geforderten Fertigkeiten für die Schule, wie das korrekte Halten eines Stiftes. Nur eben in einem anderen Rahmen. Deswegen bilden die baldigen Schulkinder in jedem Frühjahr eine eigene Gruppe, damit die Erziehenden den Bedürfnissen der Vorschulkinder gerecht werden und den Schulübertritt gezielter vorbereiten können. Die konzeptionell bedingten Nachteile in der Ausprägung der Feinmotorik gleichen die Waldpiraten mit entsprechender Aufmerksamkeit auch für diesen Lernbereich aus. Weiter seien die Kids insgesamt robuster und besäßen ein ganz anderes Körpergefühl als andere Kinder.
Auch in der Einrichtung der Waldpiraten sind alle Überbelegungsmöglichkeiten mit 56 Kindern vollkommen ausgeschöpft. Pro Jahr werden meist nur zehn bis 14 Plätzen frei. Das liegt daran, dass immer nur die ältesten Kinder den Betreuungsort wieder verlassen.