Emotionale Gedenkveranstaltung in Wassenberg Mit Courage für ein friedliches Miteinander

Wassenberg · In Wassenberg haben Schüler der Betty-Reis-Gesamtschule, der Heimatverein und weitere Bürger der Stadt eine Gedenkfeier anlässlich des Jahrestags der Reichspogromnacht veranstaltet. Die Verbrechen sollen nicht in Vergessenheit geraten.

 Gedenkfeier der Stadt Wassenberg und der Betty-Reis Gesamtschule sowie des Heimtvereins Wassenberg auf dem Synagogenplatz – die Zeitzeugen Franz-Josef Breuer (91) und Karl Lieck (links sitzend, 91) erinnern sich.

Gedenkfeier der Stadt Wassenberg und der Betty-Reis Gesamtschule sowie des Heimtvereins Wassenberg auf dem Synagogenplatz – die Zeitzeugen Franz-Josef Breuer (91) und Karl Lieck (links sitzend, 91) erinnern sich.

Foto: Laaser, Jürgen (jl)

„Lass die Vergangenheit nicht verblassen – zeig Courage!“ Das Motto der Gedenkfeier der Betty-Reis-Gesamtschule, der Stadt Wassenberg und des Heimatvereins aus Anlass des 84. Jahrestags der Reichspogromnacht 1938 ist nicht nur Programm, sondern vor allem eine Aufforderung, die Gräueltaten nicht zu vergessen und sich dafür zu engagieren, dass derartige Verbrechen sich nie wieder ereignen. Der Ort der Feier am Freitagmorgen konnte nicht besser gewählt werden: Es ist der Platz, auf dem die Synagoge der kleinen jüdischen Gemeinde gestanden hat, die am 10. November 1938 von den Nazis zerstört worden war.  Durch ihren Besuch würden die Teilnehmer der Gedenkfeier ein Bekenntnis ablegen, dass sie nicht vergessen und sich engagieren wollen, meinte der Bürgermeister.

Nicht alle Schüler des 8. Jahrgangs, der die Gedenkfeier organisiert hatte, waren zugegen. Ein Drittel des Jahrgangs war in Bergen-Belsen. Dort, am Gedenkstein von Betty Reis, die mit ihrer jüdischen Familie aus Wassenberg deportiert wurde, legten sie zeitgleich einen Kranz nieder.

Umrahmt von Liedern, gesungen vom Schulchor der Gesamtschule, gab es Redebeiträge, die die vielen  Schüler und Bürger eindrucksvoll erinnerten, mahnten und motivierten, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Sepp Becker, Ehrenbürger der Stadt Wassenberg hat sich intensiv mit der Geschichte des jüdischen Lebens in Wassenberg auseinandergesetzt und schilderte das zunächst langsame Entstehen einer jüdischen Gemeinde bis hin zum November 1938, als diese Gemeinde ausgelöscht wurde. Er erinnerte an die gesellschaftliche Teilnahme der jüdischen Mitbürger. „Fünf der Gründungsmitglieder unseres Heimatvereins waren Juden, sie gehörte selbstverständlich dazu.“ Nach dem Synagogenbrand war alles anders.

Mit der Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens war es 1938 vorbei. Karl Lieck als Zeitzeuge berichtete, wie er als siebenjähriger Schüler am 10. November 1938 mit seiner Klasse zum Platz der Synagoge ging. „Dort stank es nach verbranntem Holz, das Gebälk lag auf dem Boden, der auch von vielen Dingen übersät war“. Er habe damals nicht verstanden, was passiert war, aber er fasst seine Gedanken in einem Gedicht zusammen, in dem es heißt: „Die Massen schwiegen, kein einziges Wort. Ich habe es nicht verstanden, ich war wohl zu klein.“ Erst später wurde ihm bewusst, was dort geschehen war – etwas, das nie wieder geschehen darf, wie die Zuhörer eindringlich erfuhren.

Nicht minder erschreckend war die Schilderung von Franz-Josef Breuer. Der 91-Jährige hatte als Kind miterleben müssen, wie im Bahnhof Düren jüdische Familien in Güterwaggon gepfercht wurden. „Aus Luken in den Viehwaggons sah ich Frauen- und Männerköpfe. Und immer mehr Juden wurden auf den Bahnhof getrieben. Sie mussten ihre Koffer im letzten Waggon abgeben und wurden dann in die anderen gedrängt. Bei der Abfahrt blieb der letzte Waggon abgekoppelt zurück.“ Wohin die Menschen gekarrt wurden, darauf erhielt er keine Antwort.

Den Bogen zur Gegenwart spannten die Schüler. Sie tragen keine Schuld an dem Geschehen, aber sie tragen die Verantwortung, dass sich das Geschehen nicht wiederholt und die Gräuel nicht in Vergessenheit geraten. Am Donnerstag haben sie die Stolpersteine auf den Gehwegen in Wassenberg gereinigt, berichteten die Schülersprecher Britta Rütten und Julian Grabnitzki. „Die Nacht im November 1938 war der Beginn der Ermordung der Juden in Europa. Es wurden Menschen vernichtet, Menschen wie Betty Reis, Menschen wie du und ich. „Gewalt ereignet sich nicht, Gewalt wird ausgeübt.“ Menschen üben die Gewalt aus, damals ebenso wie heute, wie der Krieg zeigt, der nicht weit entfernt in der Ukraine Menschenleben kostet, zur Vernichtung führt, Elend bringt. „Wir fühlen uns machtlos, aber wir können helfen und Courage zeigen. Lasst uns aufstehen, wenn die Gesellschaft versagt. Lasst die Vergangenheit nicht verblassen“, so ihr Appel, der von Schülern noch betont wurde: Wo Krieg ist, ist Hass. Krieg löst keine Probleme – Jeder Mensch ist toll – Gewalt ist keine Lösung.

Betty Reis und ihre Familie haben Schreckliches erfahren. So etwas darf sich nicht wiederholen, deshalb sei es wichtig, nicht zu vergessen. Das betonte auch Ludger Hermann, der für die Schulleitung den Schülern, der Stadt und dem Heimatverein dafür dankte, dass sie auch in diesem Jahr wieder diese Gedenkfeier ausgerichtet haben. „Es berührt, aus erster Hand gehört zu haben, was damals geschehen ist.“ Zusammen, so wie es der Schulchor abschließend sang, könnte ein friedliches Miteinander gelingen: Lass die Vergangenheit nicht verblassen – zeig Courage!

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