Initiative Pskow aus Wassenberg Die humanitäre Hilfe muss weitergehen

Wassenberg · Die Initiative Pskow der Evangelischen Kirche im Rheinland unterstützt Einrichtungen für behinderte Menschen in Russland. Ihr Vorsitzender Klaus Eberl hat sich trotz des Ukraine-Krieges und vieler Hürden vor Ort ein Bild gemacht.

Im Heilpädagogischen Zentrum in Pskow gibt es trotz der turbulenten Zeiten so etwas wie Normalität. Davon hat sich Klaus Eberl bei einem Besuch in Russland persönlich überzeugt.

Im Heilpädagogischen Zentrum in Pskow gibt es trotz der turbulenten Zeiten so etwas wie Normalität. Davon hat sich Klaus Eberl bei einem Besuch in Russland persönlich überzeugt.

Foto: Klaus Eberl

Nicht wenige hatten ihm vor der Reise abgeraten, und dennoch: Oberkirchenrat a. D. Klaus Eberl, Mitgründer und Vorsitzender der Initiative Pskow (IP) in der Evangelischen Kirche im Rheinland (Ekir), hat die von der Evangelischen Kirchengemeinde Wassenberg und der IP seit rund drei Jahrzehnten geförderten Einrichtungen für Menschen mit Behinderung im russischen Pskow besucht – trotz vieler Hürden durch den aktuellen Ukraine-Krieg.

Im Gespräch mit unserer Redaktion beschreibt Eberl eine nahezu abenteuerliche Anreise über das lettische Riga, von der er auch in seinem Reisetagebuch auf der Ekir-Internetseite berichtet: Swetlana Andrejewa vom Heilpädagogischen Zentrum (HPZ) konnte ihn nicht abholen, da ihr Dauervisum nach den jüngsten Beschlüssen der baltischen Staaten nicht mehr anerkannt wurde. Zum Glück hat eine Mitarbeiterin der Pskower Stadtverwaltung einen Freund in Riga, der Eberl bis zur Grenze fuhr. Eberl: „Die estnischen Grenzer fragten mich erstaunt, warum man als Deutscher freiwillig nach Russland reist. Ich zeigte meinen Pskower Ehrenbürger-Ausweis. Die Grenzer waren sichtlich beeindruckt.“ Ein freundlicher Porschefahrer half Eberl dann, das Niemandsland zu überwinden. Am russischen Grenzübergang dauerte es zwei Stunden, um zehn Autos abzufertigen. Dann Erleichterung: Herzliches Wiedersehen mit Swetlana, die auf der russischen Seite schon gewartet hatte.

Und zwei Stunden später nach Ankunft in Pskow stand bereits ein Treffen mit der stellvertretenden Gouverneurin des Oblast Pskow – Oblast ist vergleichbar mit einem Bundesland bei uns – in der Werkstatt für behinderte Menschen an. Sie hatte die neue Sozialministerin mitgebracht. „Wir versicherten einander“, so Eberl, „dass auch in diesen turbulenten Zeiten die erfolgreiche humanitäre Zusammenarbeit weitergehen muss. Das Wort Krieg wurde nicht ausgesprochen. Man spricht vom 24. Februar. Die Politikerin kennt unser Engagement von Anfang an und unterstützt die Versöhnungsarbeit nach Kräften.“ Am Ende des Besuchs steht die Besichtigung des fertiggestellten Rohbaus eines neuen Traktes für die Tagespflege. Ab Frühjahr 2023 sollen dort rund 50 Erwachsene mit schweren geistigen und mehrfachen Behinderungen betreut und in ihren Alltagskompetenzen gefördert werden, der aktuelle Arbeitsschwerpunkt der IP.

Auch in der Behindertenwerkstatt und dem HPZ, zu dem mittlerweile neben der Förderschule auch die Frühfördereinrichtung und die Kindergärten gehören, läuft der Betrieb wie immer. Eberl: „Es hat mich gefreut, dort Normalität zu spüren. Alle Bereiche sind super gut in Schuss.“ Das gesamte Team, vor allem HPZ-Leiter Andrej Zarjow, habe sich riesig über den Besuch gefreut und die Zusage, dass die Zusammenarbeit weitergeht. Auch einen Besuch beim jüngsten Projekt, den Wohngemeinschaften, schildert Eberl. „Betreutes Wohnen ist eine Chance für assistierte Freiheit“, schreibt er im Tagebuch. Dieses Arbeitsfeld gewinne für die IP immer größere Bedeutung.

Natürlich erlaubt die politische Situation derzeit keine Aussage, ob die geplante Feier zum 30-jährigen Bestehen des HPZ im kommenden Jahr stattfinden kann. Auch ob ein versprochener EU-Zuschuss zur behindertengerechten Ausstattung eines ans HPZ-Gelände angrenzenden Waldstücks fließen wird, ist unsicher. Die Wassenberger Kirchengemeinde hat die Maßnahme vorfinanziert. „Angesichts der angespannten politischen Situation“, so Eberl, „ist noch offen, ob die Mittel tatsächlich fließen. Fallen sie aus, wäre das für den Pskow-Haushalt der Kirchengemeinde ein herber Rückschlag.“

Natürlich interessierte Eberl als politisch denkender Kopf bei seiner Reise auch die Einstellung der Menschen zum russischen Einmarsch in der Ukraine. Und hier gibt der Russlandfreund seine Ernüchterung zu. Im privaten Dialog, etwa abends in Hotel, hört Eberl zwar unterschiedliche Reaktionen, aber es überwiegt die Zustimmung zu Putins Vorgehen. „Meine Vorstellung war, dass die Propaganda und die Medien zwar dazu führen, dass die Menschen in Russland den Krieg als gerecht empfinden, aber dass man durch bessere Informationen andere Sichtweisen ermöglichen kann. Diese Einschätzung hat sich durch meine Reise verändert.“ Bei Gesprächen hatte er das Gefühl, „als würden wir uns in unterschiedlichen Galaxien bewegen“. In Russland gebe es offenbar ein ganz weitverbreitetes Geschichtsbild, wonach Russland immer das Opfer ist und seit Jahrhunderten von außen bedrängt wird. Eberl: „Dieses Bild ist so tief in den Köpfen verankert, dass es für die Propaganda leicht ist, daran anzuknüpfen und es zu verstärken.“

Wie passt diese ernüchternde Erfahrung zum Geist der Versöhnung und Toleranz, die seinerzeit ein Auslöser der Pskow-Projekte war? „Unser Ziel war nicht, das Russland unsere Weltsicht übernimmt, sondern wir wollten für Menschen, die es dort besonders schwer haben, neue Perspektiven schaffen. Und das ist uns gelungen und hat von Pskow aus Standards für das ganze Land gesetzt.“ Eberl erinnert an die tristen russischen „Internate“, Anstalten, in denen Behinderte mehr oder weniger weggesperrt wurden. Sie gehören heute weitgehend der Vergangenheit an. Und dies maßgeblich angeregt durch die Beispiele aus Pskow, die auch die Aus- und Weiterbildung von Beschäftigten in der Behindertenarbeit einbeziehen.

Eberl hält es daher nach wie vor für wichtig, zivilgesellschaftliche Kontakte zu Russland, so gut es geht, weiterzuführen. Leider seien in den vergangenen Wochen viele davon zerbrochen. Für die IP-Projekte aber bleibt er optimistisch. „Unsere Partnerschaft ist so stark, dass sie auch unterschiedliche Sichtweisen aushält.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort