Ungewöhnliches Projekt in Viersen Wie Zuschauer Theaterstück mitgestaltet haben

Viersen-Süchteln · Mitmachen statt nur zuschauen: Die Viersenerin Louisa Kistemaker und ihr Team stellten ein etwas anderes Theaterstück vor, das sie selbst entwickelt haben. So kam es beim Publikum in der „Königsburg“ an.

 Luisa Kistemaker (3.v.l.) lud die Zuschauer ein, in die Theaterszenen einzugreifen, auf die Bühne zu kommen und sie mitzugestalten.

Luisa Kistemaker (3.v.l.) lud die Zuschauer ein, in die Theaterszenen einzugreifen, auf die Bühne zu kommen und sie mitzugestalten.

Foto: Ja/Knappe, Joerg (jkn)

Am Ende standen die Laien-Schauspielerinnen Julia Deutges, Anja Gölitz, Beate Nagel, Agnes Frenzke-Kistemaker und Yaroslava Volkova vor dem Publikum und nahmen ihren Applaus entgegen. Aber sie waren nicht allein da vorne: Etwa ein Dutzend neuer Schauspiel-Kolleginnen und Kollegen aus dem Publikum gesellte sich zu ihnen. Diese Frauen und Männer hatten ihren Applaus ebenso verdient: Kreativ und mutig waren sie in die Szenen des Forum-Theaters eingestiegen.

Vermutlich hatten sie bereits eine Ahnung von dem gehabt, was auf sie zukommen würden. Ottmar Nagel war als Gast einer der Kurzzeitschauspieler und auch Vertreter des Teams der Königsburg. Dieses hatte dem Forum-Theater von Louisa Kistemaker den Raum zur Verfügung gestellt. Nagel wandte sich an das Publikum und drückte seine Überraschung aus: Er habe nicht damit gerechnet, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer sich so intensiv in das Geschehen einbringen würden.

Ein unvorhersehbarer Ablauf, ein diskussionsreicher Abend: eine Herausforderung für Louisa Kistemaker als Moderatorin des Theaterstücks und für ihre Schauspielerinnen. Eine Herausforderung, der sie sich am Sonntagabend erfolgreich stellten.

„Brücken statt Mauern“ hieß das partizipative Theaterstück, das die fünf Frauen unter der Leitung von Louisa Kistemaker und Regisseur Amit Ron ein Wochenende lang vorbereitet hatten. Sie hatten einige kurze Szenen entwickelt und präsentierten sie dem Publikum. Darin ging es um das Festhalten und Loslassen, um langjährige Freundschaften, die durch unterschiedliche Haltungen zu den gesellschaftlichen Konflikten auf der Kippe stehen, um schwierige Prozesse innerhalb einer Gruppe. Mit wenigen Worten wurden die Szenen angerissen. Diese Erläuterungen waren ebenso wichtig wie die Körperhaltung der Spielenden – Louisa Kistemaker sprach von „Bildtheater“.

Nach wenigen Minuten stoppte Kistemaker das Spiel einer Szene und wandte sich mit Fragen an das Publikum. „Was nehmen Sie wahr?“, fragte sie. „Wer von Ihnen kann das nachvollziehen? Wie würden Sie in der Situation reagieren?“

Fragen, die die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Nachdenken brachten. Schnell meldeten sich Gäste zu Wort, brachten Anmerkungen, Ideen, eigene Erfahrungen ein und folgten bereitwillig der Aufforderung, auf die Bühne zu kommen und ihre Geschichten mit den anderen zu teilen. Im Nachgang zu der Szene, in der es um gruppendynamische Prozesse ging, die durch einen unfähigen Teamleiter entstanden sind, wurden Geschichten aus dem beruflichen Alltag erzählt. Dabei wurde geschildert, wie die Leitung eines Teams die Arbeit erschwert oder gar verhindert.

Oder die Zuschauerinnen und Zuschauer wurden eingeladen, eine Szene zu verändern, indem sie ihre eigene Lösung spielten: Sehr anrührend und eindringlich war der Eingriff eines Gastes in die Szene der beiden Frauen, die sich wegen ihrer unterschiedlichen politischen Haltung zu den Corona-Maßnahmen oder dem Ukraine-Krieg zu verlieren drohten. Noch hielten sie sich an den Händen, aber der Abstand zwischen ihnen war groß. Der eingreifende Zuschauer nahm den Faden der Freundschaft auf, lud die fiktive Freundin ein, darüber nachzudenken, was wirklich wichtig in ihrer Beziehung sei. Er ließ die dargereichte Hand zunächst los, um sie wieder zu ergreifen. „Lass uns den Blick ändern“, schlug er vor.

Nachdenken und aktiv werden statt nur zu konsumieren – diese Form des Theaters verlangt von allen Beteiligten einiges ab. Im Minutentakt gingen die einander überwiegend fremden Menschen miteinander in den Austausch, interpretierten das Gesehene, revidierten erste Eindrücke, hatten den Mut, vor dem Publikum über ihre Erfahrungen zu sprechen und mitzuspielen. Louisa Kistemaker moderierte souverän, freundlich und professionell und hielt die Fäden, so locker sie auch gebunden waren, in der Hand. Es sei eine Form von Demokratie, alle Stimmen zu Wort kommen zu lassen, erklärte sie nach der Vorstellung.

Und es geht weiter mit dem Projekt Forum-Theater: Interessierte Mitspieler können sich melden unter der E-Mail-Adresse partizipatives-theater@proton.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort