Neue Serie Kunst Ohne Künstler (1) Wo die Welt aus Bäumen besteht

Viersen · Im Alltag und in der Natur finden wir immer wieder "Bilder", die wie Kunstwerke wirken. Unsere Autorin hat dafür Beispiele in der Region gesammelt. Zum Auftakt eine Baumreihe in Haverslohe, die an ein Gemälde von Caspar David Friedrich erinnert.

 Um 1824 malte Caspar David Friedrich das Ölgemälde "Hügel mit Bruchacker bei Dresden".

Um 1824 malte Caspar David Friedrich das Ölgemälde "Hügel mit Bruchacker bei Dresden".

Foto: dpa

Brüggen Natürlich hat Kunst immer mit einem kreativen Impuls und einer intellektuellen Reflexion zu tun, mit einem Menschen, der aus sich und den Anregungen seiner Lebenswelt heraus arbeitet. Natürlich ist Kunst immer etwas Artifizielles. Doch finden sich im Alltag und in der Natur immer wieder "Bilder", die auf den aufmerksamen Betrachter wie Kunstwerke wirken.

 Die Baumreihe in Haverslohe wirkt wie ein erstarrtes Gebilde. Kein Mensch ist zu entdecken, die Welt scheint nur aus Bäumen zu bestehen.

Die Baumreihe in Haverslohe wirkt wie ein erstarrtes Gebilde. Kein Mensch ist zu entdecken, die Welt scheint nur aus Bäumen zu bestehen.

Foto: Busch

Die Bäume in Haverslohe in Brüggen zum Beispiel: Das ist doch ein perfektes Bild. Eine Baumgruppe aus dürren Stämmen und schmalen Kronen ragt im unteren Bereich des Bildes auf. Im Hintergrund schemenhaft zu erkennen ist eine eng zusammen stehende, hohe Baumreihe, deren Farbe im fahlen Licht verblasst. Im Übrigen gibt es nur den hellgrauen Himmel, der das Bild dominiert. Und ist da nicht sogar der "Goldene Schnitt", die perfekte Proportion, zu erahnen?

Die Baumreihe wirkt wie eine Skulptur, wie ein erstarrtes Gebilde, allein dazu da, das Bild zu strukturieren. Kein Mensch ist zu entdecken, es ist eine Welt, die nur aus Bäumen zu bestehen scheint. Für jeden Betrachter wird sich eine verschiedenartige Assoziation einstellen, ein unterschiedliches Gefühl.

Wo ist die Verbindung zu einem Gemälde aus der Kunstgeschichte? Der "Hügel mit Bruchacker bei Dresden" von Caspar David Friedrich (1774-1840) mag sie herstellen. Auch auf diesem Bild stehen die - allerdings nahezu laubfreien - Bäume, die auf einem Hügel stehen und somit eine Rundung aufgreifen, im Mittelpunkt. Auch hier ist Himmel und Erde dominant, wenn auch die Stadt Dresden im Hintergrund auftaucht und die Raben das Bild beleben. Ein gelb-oranger Himmel im Hintergrund verweist auf einen Sonnenuntergang, auf eine abendliche Stimmung. Um 1824 malte der Vertreter der deutschen Romantik das Ölgemälde. Seine Werke sind bekannt dafür geworden, dass die Landschaften zu Symbolen und Allegorien des Göttlichen, des Todes, der Einsamkeit des Menschen, der Hoffnung auf Erlösung im Jenseits werden. Caspar David Friedrich hat damit die Betrachtungsmöglichkeiten von Kunstwerken revolutioniert. Nicht mehr die objektive Wahrnehmung steht im Mittelpunkt. Vielmehr offerieren die Gemälde ein Angebot an den Betrachter, seine Lebens- und Gedankenwelt in die Betrachtung mit einzubeziehen, sie bieten eine subjektive Sichtweise an. Damit begann bereits im 19. Jahrhundert das, womit heutige Besucher zeitgenössischer Kunstmuseen konfrontiert sind: Teil des Bildes und seiner Deutung zu werden.

(b-r)
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