Viersen Wilde Kühe im Ausnahmezustand

Viersen · Im April lässt Bauer Georg Gütges an der Niers das Milchvieh auf die Weide. Doch raus dürfen längst nicht alle seine Tiere. Für die Kühe, die zum Melken im Stall bleiben müssen, gibt es immerhin einen Wellnessbereich mit rotierenden Massagebürsten.

Wellness für Kühe
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Foto: Busch

Es ist alles vorbereitet. Ronja Gütges und ihr Vater Georg haben die schwere grün lackierte Holztür hinten am Anhänger geöffnet, eine Rampe führt auf die Weide. Die sechs Kühe und Rinder, die auf dem Wagen stehen, müssten jetzt nur noch über die Planken runter auf die Wiese tappen. Aber sie weigern sich. Eine Kuh streckt den Kopf aus der Türöffnung, schaut sich kurz um. Dann geht sie rückwärts. Landwirt Georg Gütges hilft nach: Er klettert in den Hänger, schiebt hier ein bisschen, verteilt da ein paar Klapse - bis die Tiere die Rampe runter donnern und wild buckelnd über den weichen Grasboden an der Niers galoppieren.

In dritter Generation betreibt Georg Gütges seinen Milchviehbetrieb in Süchteln. Rund 200 Tiere aus eigener Zucht stehen bei ihm auf dem Hof: Kühe - also Rinder, die mehr als einmal Nachwuchs geboren haben, Rinder und Kälber der Rasse Holstein-Schwarzbunt. Jedes Jahr im April, wenn das Gras dicht gewachsen ist, eröffnet Gütges die Weidesaison. Doch schon seit etwa fünf Jahren dürfen nur noch ausgewählte Tiere den Sommer draußen an der Niers verbringen. "Sie sind alle tragend", sagt Georg Gütges und beobachtet, wie die sechs Neuzugänge über die Weide toben. "Unbezahlbar" findet er diesen Anblick.

Fünf Kühe hat er schon vor ein paar Tagen hergebracht. Weil sie bald Nachwuchs bekommen, sind sie nicht in die Milchproduktion eingebunden, der Bauer muss ihre Ernährung also nicht so streng überwachen wie bei den Artgenossen auf dem Hof. An jedem zweiten Tag schaut er nach ihnen. Spätestens etwa sechs Wochen, bevor eine Kuh voraussichtlich kalbt, holt Gütges sie von der Weide ab.

Minutenlang rennen alle Kühe und Rinder völlig entfesselt herum, dann geraten die ersten aneinander. "Die kebbeln sich, die müssen sich jetzt erst Mal kennenlernen", erklärt Ronja Gütges. Die 21-Jährige und ihr Bruder Lars (19) sind die vierte Generation im Familienbetrieb, zu dem auch noch ihre Mutter Gaby und Oma Juliane, Spitzname "Julla", gehören. Ronja Gütges hat eine Ausbildung zur Landwirtin abgeschlossen, jetzt besucht sie werktags in Köln die Meisterschule und leistet den nötigen Praxis-Teil im elterlichen Betrieb. Voraussichtlich 2019 ist sie staatlich geprüfte Agrarbetriebswirtin. Ihr Bruder Lars ist im dritten Jahr seiner Ausbildung zum Landwirt.

Für Georg Gütges ist es eine Erleichterung, dass die Kinder sich für die Landwirtschaft entschieden haben - so können seine Frau und er auch mal Urlaub machen, während der Nachwuchs sich um den Hof kümmert. In langen Ställen ist das Milchvieh dort untergebracht, alles ist streng organisiert. "Kühe sind nun mal Hochleistungssportler", sagt Georg Gütges. In Altersgruppen sind sie eingeteilt, die brünftigen stehen zusammen, für die Kälber gibt es einen eigenen "Kindergarten". Neun Monate ist eine Kuh trächtig. "Etwa an jedem dritten Tag wird hier ein Kalb geboren", sagt Georg Gütges. Selbst einen Wellnessbereich haben die Tiere - der erinnert an eine Waschstraße, an deren Bürsten sie sich massieren lassen können.

Jeder Kuh erstellt die Familie Gütges monatlich einen eigenen Ernährungsplan, der festlegt, wie viel Mais, Gras und Kraftfutter sie bekommt - alles mit dem Ziel, dass sie gesund bleibt und möglichst viel Milch produziert. "Früher haben wir pro Jahr und Kuh im Schnitt 8800 Liter gemolken, jetzt sind wir bei 9700 Liter", sagt Georg Gütges. Jede Kuh gebe im Schnitt an 300 Tagen im Jahr Milch. Zweimal am Tag wird gemolken, das dauert jeweils zweienhalb Stunden. Eine Maschine übernimmt den Hauptteil der Arbeit, doch die Landwirte müssen vorher die Zitzen abputzen, das Melkzeug ansetzen und nachher Pflegemittel auftragen.

Einen kleinen Teil der Milch verkauft Familie Gütges in Flaschen abgefüllt im eigenen Hofladen. Doch hauptsächlich produziert sie für einen großen Molkereibetrieb in der Eifel, der sie zum Beispiel zu Käse und Jogurt weiterverarbeitet. An jedem zweiten Tag hole ein Laster rund 5000 Liter ab, sagt Gütges. Es gebe eine Anbindungspflicht, erklärt er. "Man darf nur an eine Molkerei liefern." Mit den Preisen sei er zumindest zufriedener als im vergangenen Jahr: "Da waren wir bei 23 Cent pro Liter, das war die Schmerzgrenze, da verdient man nichts. Jetzt sind wir bei 32 Cent." Es gab aber auch schon mal 41 Cent. Je niedriger der Preis ist, desto wichtiger ist, dass die Kühe viel Milch geben. Das setzt die Landwirte unter Druck, und einfach umzusatteln auf ein anderes Geschäftsfeld ist auch nicht möglich: "Wir sind mit unseren Gebäuden zweckgebunden", erläutert Gütges.

1986 hat der Süchtelner den Hof von seinem Vater Johannes übernommen. "Meine Eltern hatten einen klassischen Betrieb mit Kühen und Schweinen", erzählt er. Aber der Vater habe gesagt: "Mit dir und den Schweinen - das hat keinen Sinn", also spezialisierte sich der Sohn auf die Milchviehhaltung. Kühe hat er einfach lieber um sich. "Wenn eine Kuh dir einmal vertraut, vertraut sie dir für immer", ergänzt Ronja Gütges, diesen Wesenszug schätzt sie sehr. Die Landwirtin hat sogar ein Lieblingsrind namens Steffi, ein Ausbilder hatte ihr dessen Mutter geschenkt. Jetzt steht Steffi mit ihren Artgenossen auf der Weide an der Niers. Nadine Fischer

(RP)
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