Kalle Wassong "Welpenschutz hatte ich nicht"

Viersen · Kalle Wassong ist seit 100 Tagen im Amt. Im Gespräch erläutert der 53-Jährige, wie er die erste Zeit als Bürgermeister erlebt hat, was die Gemeinde in der nächsten Zeit bewegen wird und wann und bei wem er den Bürgermeister auch mal ablegen kann.

Kalle Wassong: "Welpenschutz hatte ich nicht"
Foto: Franz Heinrich Busch (bsen)

Niederkrüchten Im Oktober trat Kalle Wassong die Nachfolge von Bürgermeister Herbert Winzen an und übernahm den Chefsessel im Rathaus. Für den Diplom-Sozialarbeiter, der zuvor beim Bistum Aachen als bischöflicher Beauftragter zur Prävention von sexualisierter Gewalt tätig war, ist die neue Aufgabe spannend. Ein Rückblick auf die ersten 100 Tage - und ein Blick auf die kommende Zeit.

Herr Wassong, die ersten 100 Tage waren nicht besonders ruhig.

Kalle Wassong Stimmt. Ein Kollege sagte mir, die ersten 100 Tage hätte man als Bürgermeister "Welpenschutz". Aber den hatte ich nicht. Und die ersten 100 Tage waren ja nicht nur für mich von großen Ereignissen geprägt, sondern für die ganze Gemeinde.

Welche Ereignisse meinen Sie?

Wassong Die Gegenveranstaltung "Herz statt Hetz" zur AfD-Demo in Elmpt zum Beispiel. Da ist ein guter Schwung durch die Gemeinde gegangen. Viele Menschen haben sich gefragt: Wo stehen wir eigentlich? Und sie haben ein Zeichen für Toleranz gesetzt. Ich meine aber auch die Unterbringung der Flüchtlinge auf dem ehemaligen Gelände der Briten und den ersten Bürgerentscheid in Niederkrüchten. Diese Themen haben die Gemeinde in den letzten Monaten sehr bewegt.

Es gab aber auch viel Aufregung, viele Diskussionen, auch Streit. Wie gehen Sie damit um?

Wassong Wenn man nicht genau weiß, was passiert, was auf einen zukommt, löst das Ängste aus. Das kann ich verstehen. Deshalb ist es mir wichtig, von Anfang an transparent mit Dingen umzugehen, Entwicklungen zu erklären und mit den Bürgern darüber zu sprechen. Man muss die Ängste der Menschen ernst nehmen.

Was haben Sie gemacht, nachdem Sie den Chefsessel übernommen haben?

Wassong Ich habe begonnen, Netzwerke zu knüpfen, die Kommunikation verschiedener Akteure aufzubauen. Ich bin eben ein Netzwerker. Ich habe also Kontakt aufgenommen zum Ältestenrat und den Fraktionsvorsitzenden, zu den Bürgermeistern aus Brüggen und Schwalmtal, Roermond und Roerdalen. Im Rathaus gibt es nun eine regelmäßige Konferenz der Führungsebene. Ich habe alle Einrichtungen der Gemeinde besucht, wie Schulen und Kindergärten, Klärwerk, Gemeindewerke und Bauhof. Und ich habe den Bürgerdialog initiiert, denn ich möchte wissen, was die Bürger bewegt. Auch wenn ich Goldhochzeitspaare besuche oder ältere Bürger, die einen runden Geburtstag feiern, erhalte ich ein gutes Stimmungsbild aus der Gemeinde.

Welche Fragen stellen die Niederkrüchtener ihrem Bürgermeister?

Wassong Bei den Sprechstunden, im Bürgerdialog, ist es die ganze Palette: Es geht um Flüchtlinge, um Fragen ans Sozialamt, ans Ordnungsamt, es geht um Parkprobleme oder Friedhofsangelegenheiten. Vielen ist das persönliche Gespräch wichtig. Auch für Kinder und Jugendliche möchte ich künftig solche Sprechstunden anbieten, die erste gibt es im neuen Jugendtreff an der Lehmkul. Und ich möchte im Sommer die Sprechstunde im öffentlichen Raum abzuhalten, dann setze ich mich mit einem Tischchen und einem Sonnenschirm irgendwo hin, und jeder Bürger kann mit seinen Fragen oder Problemen zu mir kommen.

Über welche Themen wird man in Niederkrüchten in den nächsten 100 Tagen sprechen?

Wassong Über den Breitbandausbau zum Beispiel. Ich bin überzeugt davon, dass wir das dieses Jahr hinkriegen. Dann wollen wir im ersten Halbjahr als Gemeinde gemeinsam mit dem Kreis Viersen und der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Kreises eine Entwicklungsgesellschaft für das Flughafengelände gründen, auch dort muss es weitergehen. Und natürlich geht es weiter mit der Planung für den Vollsortimenter in Elmpt. Welcher Betreiber ins Heineland geht, wird sich zeigen. Beide Konzerne, Rewe und Edeka, werden ein Angebot abgeben, und dann muss die Politik entscheiden, wem sie den Zuschlag gibt. Dazu gehört auch die Planung für die Entwicklung des Heinelands insgesamt. Dafür gibt es gute Ideen.

Haben Sie noch Zeit für Hobbys?

Wassong Das Singen habe ich drangegeben, das bekomme ich zeitlich nicht mehr hin. Aber ich habe mich sehr gefreut, dass mich der Kirchenchor St. Bartholomäus zum Ehrenvorsitzenden ernannt hat, da war ich wirklich überrascht. In der Bruderschaft bin ich noch. Es läuft alles weiter, nur ein bisschen gedämpfter. Ich finde, es gelingt mir ganz gut, ein Stückchen Normalität zu bewahren. Da werde ich von der Familie und von Freunden sehr unterstützt. Und ich fühle mich auch von den Mitarbeitern im Rathaus sehr gut unterstützt. Sie haben mich herzlich aufgenommen.

Können Sie den Bürgermeister auch mal ablegen und nur Kalle sein?

Wassong Ja. Wenn ich sonntags mit meiner Frau unterwegs bin und keine Veranstaltung besuche, dann habe ich das Gefühl, wirklich nur Kalle zu sein. Und wenn wir uns alle vier Wochen bei Freunden treffen, dann bin ich auch nur Kalle, nicht der Bürgermeister. Sobald Öffentlichkeit dabei ist, merkt man, dass sich die Menschen anders verhalten, wenn der Bürgermeister da ist.

Ist das nicht ein seltsames Gefühl?

Wassong Nun, ich bin mir dessen bewusst. Und ich weiß, dass ich ein besonderes Amt habe, das ich nicht einfach samstags ablegen kann. Aber ich mache das gern. Das ist meine Grundhaltung. Ich möchte die Gemeinde nach vorn bringen, und ich habe Lust, Dinge mitzugestalten. Damit bin ich angetreten, und ich finde, als Bürger kann ich von meinem Bürgermeister auch erwarten, dass er für mich da ist und ein offenes Ohr hat. Auch wenn das abends oder am Wochenende ist.

Sind Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit in den ersten 100 Tagen?

Wassong Ich glaube, ich habe bewiesen, dass ich managen kann. Und dass ich verbindend und verbindlich tätig sein möchte. Wissen Sie, ich muss nicht "Everybody's Darling" sein, ich bin sicherlich ein Mensch mit Ecken und Kanten. Aber ich möchte den Menschen ernsthaft begegnen, und zwar auf Augenhöhe.

Gibt es etwas, auf das Sie sich als Bürgermeister besonders freuen?

Wassong Als Bürgermeister darf man viele tolle Sachen machen. Allerdings muss man für manche Dinge auch erst mal einen Kursus machen - zum Beispiel, um Paare trauen zu dürfen. Den mache ich jetzt, und in vier Wochen darf ich dann erstmals ein Paar trauen. Darauf freue ich mich schon sehr.

(RP)
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