Serie Vor 150 Jahren Die Entdeckung des Unverwechselbaren

Kreis Viersen · Im Jahr 1869 wurde in Dülken der erste Verschönerungsverein im Kreis gegründet. Andere Orte zogen aber schon bald nach.

 Postkarte vom damaligen Hotel Herringer an der Peterstraße in Kempen.

Postkarte vom damaligen Hotel Herringer an der Peterstraße in Kempen.

Foto: Kreisarchiv Viersen

Noch 1824 hatte der talentierte erste Kreisbaumeister Stephan Hermkes in einem amtlichen Bericht über den baulichen Zustand der Städte und Dörfer geklagt: „Es wird an keine Verschönerung gedacht“. Allenthalben entdeckte er Interesselosigkeit in Sachen ästhetischer Ansprüche.

Das sollte sich bald ändern. Nur drei Jahrzehnte später begann auch im Kreis Kempen das Wirken der Verschönerungsvereine, was mit der Entdeckung und Bewusstmachung der landschaftlichen Schönheiten sowie der örtlichen architektonischen Besonderheiten zu tun hatte. Vor allem das bodenständige, wohlhabende Bürgertum förderte das neue Heimatbewusstsein, ohne dass das Wort „Heimat“ schon gebraucht wurde.

Die Wahrnehmung des Unverwechselbaren – heute würde man vielleicht von „Alleinstellungsmerkmalen“ sprechen – drückte sich in einem Denken aus, das vor Ort das Einmalige, den Reiz und den Charme der Natur, der gewachsenen Ortschaften erkannte. Der erste Verschönerungsverein wurde vor rund 150 Jahren, am 22. April 1869, in Dülken gegründet.

In der Satzung wurde folgende Absicht kundgetan: „Der Verein bezweckt die Anlage und Verbesserung von Spaziergängen, die Verschönerung öffentlicher Plätze usw. überhaupt die Verschönerung Dülkens und seiner nächsten Umgebung.“

Doch diese Gründung erwies sich als Fehlschlag: Schon sechs Jahre später war es zu Ende mit dem Dülkener Verschönerungsverein. Und es dauerte noch bis 1886, dass auch in Viersen eine solche Vereinigung ins Leben gerufen wurde. Dort waren die Ziele konkreter: Der Hohe Busch sollte vor gänzlicher Abholzung bewahrt werden, wie Arie Nabrings in einem gründlich recherchierten Aufsatz berichtete (Heimatbuch des Kreises Viersen 1999): „Die Eigentümer veräußerten die Bäume auf dem Hohen Busch, der daraufhin teilweise kahl geschlagen war. Durch systematischen Ankauf von Waldparzellen will der Verschönerungsverein den Hohen Busch als Ausflugsziel erhalten.“ Mit gleicher Zielsetzung zog Süchteln im Jahr 1894 nach.

Immer mehr mischte sich das Anliegen, die Schönheit von Stadt und Natur im Sinne der Eingesessenen zu pflegen, mit der Absicht, die Attraktivität für Fremde zu steigern.

In Dülken folgte 1899 eine Wiederbelebung des Vereinsgedankens. Dort wie auch anderswo gehörte es, so Nabrings, „zu den charakteristischen Merkmalen der Verschönerungsvereine, dass sich die örtliche Verwaltungsspitze oder Honoratioren aus dem Besitz- und Bildungsbürgertum in ihnen engagieren“. Der Dülkener Bürgermeister wünschte sich, dass sich auswärtige Rentner dazu entschließen könnten, in Dülken, „der Perle des Niederrheins“, ihren Lebensabend zu verbringen.

Kurz nach der Jahrhundertwende trifft man auf ähnliche Bestrebungen in Hinsbeck, Waldniel und Niederkrüchten. Vor Beginn des Ersten Weltkrieges haben auch in Brüggen und Lobberich Verschönerungsvereine, die oft auch als Verkehrsvereine firmierten, bestanden.

Ansichtskarten mit landschaftlichen Schönheiten waren um die jahrhundertwende 1900 durchweg in allen Dörfern und Städten des heutigen Kreises Viersen zu kaufen. Und es gab die ersten Stadtführer. In Viersen zum Beispiel seit 1891 („Virsen [!] in Wort und Bild“). In Süchteln gab der Verschönerungsverein 1895 sogar einen „Führer über die Süchtelner Höhen“ heraus.

Das alles zeigt ein neues Verständnis und ein neues Verhältnis zum örtlich Besonderen, während Viersens erste Stadtgeschichte von Schröteler (erschienen 1861) die natürlichen Schönheiten von Stadt und Umgebung noch mit keinem Wort erwähnte. Erst der Arzt Dr. Aloys Schmitz bescheinigte 1871 in seiner Darstellung der Stadt Viersen „mit ihrer näheren und weiteren Umgebung ein anmuthiges Landschaftsbild“.

Die Wahrnehmung sowie der Genuss von Landschaft und Natur, Kernanliegen der Verschönerungsvereine. vermengte sich zwischen den beiden Weltkriegen noch mehr mit dem Gedanken von Wirtschafts, Fremdenverkehrs- und Tourismusförderung.

 Pension zum Wald-Schlösschen am Peschweg in Kempen um 1898.   Foto: Kreisarchiv

Pension zum Wald-Schlösschen am Peschweg in Kempen um 1898. Foto: Kreisarchiv

Foto: Kreisarchiv Viersen
 Grußkarte aus Benrad-St. Tönis mit der Schankwirtschaft Mathias Reuter, dem Bahnhof Benrad und der Sauerkrautfabrik Hoeveler & Co.   Foto: Kreisarchiv/Sammlung Wolters, Kempen

Grußkarte aus Benrad-St. Tönis mit der Schankwirtschaft Mathias Reuter, dem Bahnhof Benrad und der Sauerkrautfabrik Hoeveler & Co. Foto: Kreisarchiv/Sammlung Wolters, Kempen

Foto: Kreisarchiv Viersen
 Gruß aus Grefrath mit dem Hotel Gartz von 1898.

Gruß aus Grefrath mit dem Hotel Gartz von 1898.

Foto: Kreisarchiv Viersen
 Rauchende Fabrikschlote - wie auf dieser historischen Aufnahme von Dülken - galten als zeichen für den wirtschaftlichen Fortschritt.

Rauchende Fabrikschlote - wie auf dieser historischen Aufnahme von Dülken - galten als zeichen für den wirtschaftlichen Fortschritt.

Foto: Kreisarchiv

Nicht zu verschweigen ist freilich die Tatsache, dass sich die Nationalsozialisten geschickt in diese Tradition einklinkten. So hieß es 1934 in einem Arbeitsplan des Lobbericher Verkehrsvereins: „Nur der Deutsche, der sein Land und seine Volksgenossen aus anderen Landesteilen kennen und schätzen gelernt hat, findet die innere und tiefere Beziehung zu diesem Lande, die ihn zu allen Opfern für sein Vaterland erst fähig macht.“

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