Viersen Viersen im finanziellen Blindflug

Viersen · Seit Jahren hat die Stadt keinen gültigen Jahresabschluss. Ihr fehlt eine genaue Übersicht, wie viel sie genau eingenommen und ausgegeben hat – und das, obwohl sie jedes Jahr neue Schulden aufnehmen muss.

 Jahr für Jahr beschließt der Viersener Rat den Haushaltsplan. Doch darüber, wie viel die Stadt im Vorjahr ausgegeben und eingenommen hat, gibt es keine geprüfte Übersicht: Die Jahresabschlüsse fehlen.

Jahr für Jahr beschließt der Viersener Rat den Haushaltsplan. Doch darüber, wie viel die Stadt im Vorjahr ausgegeben und eingenommen hat, gibt es keine geprüfte Übersicht: Die Jahresabschlüsse fehlen.

Foto: Busch

Seit Jahren hat die Stadt keinen gültigen Jahresabschluss. Ihr fehlt eine genaue Übersicht, wie viel sie genau eingenommen und ausgegeben hat — und das, obwohl sie jedes Jahr neue Schulden aufnehmen muss.

Wer Geschäftsführer einer GmbH ist und nicht spätestens zwölf Monate nach Ende eines Geschäftsjahres eine Bilanz vorlegt, wird mit einem sachlichen Brief darauf hingewiesen, dass er gegen Bilanzierungspflichten verstoßen hat. Er möge innerhalb weniger Wochen den Jahresabschluss nachreichen, im Bundesanzeiger veröffentlichen und ein Bußgeld an die Staatskasse zahlen. Die Bilanzierungspflichten gelten als wichtig für die Wirtschaft: Sie sollen Unternehmen einen Überblick über die Finanzlage der Firmen geben, mit denen sie zusammenarbeiten.

Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen hingegen haben Glück, dass sie diesen Bilanzierungspflichten nicht unterliegen — auch Viersen. Für das Jahr 2007 hat die Stadt den letzten Jahresabschluss vorgelegt. Für 2008, 2009, 2010, 2011 und 2012 fehlt eine genaue und geprüfte Übersicht dazu, wie viel die Stadt eingenommen und ausgegeben hat. Der Stadtrat beschließt so Jahr für Jahr neue Haushaltspläne für die Stadt, ohne vorherige Ausgaben und Einnahmen anschauen zu können.

Er fände es schade, dass die Stadt kein Unternehmen ist, sagte denn auch Hans-Willi Pertenbreiter von der Fraktion FürVIE bei der Sitzung, bei der der Rat den Haushaltsplan für 2013 verabschiedet hat. "Denn dann könnte sie sich nicht erlauben, seit Jahren Haushalte zu planen, ohne mal einen realistischen Abschluss der Vorjahre hinzulegen." Mit den fehlenden Jahresabschlüssen erklärt Kämmerer Rolf Corsten unter anderem, dass er nur schätzen kann, wie hoch die Kassenkredite Viersens Ende des Jahres sein werden. Aber zumindest nach dem Haushaltsplan wird der Verlust der Stadt 2013 bei 16,5 Millionen Euro liegen. Der Schuldenstand dürfte dann 139 Millionen Euro betragen — es können ein paar Millionen mehr oder weniger sein.

Die Verzögerungen bei den Jahresabschlüssen sind laut Kämmerer Corsten entstanden, als die Stadt infolge gesetzlicher Vorgaben das Rechnungswesen und die zugehörige Software umstellte.

Mehr als 30 Jahre lang arbeiteten Kommunen in Deutschland mit dem bisherigen kameralen Haushalt. Diese Art der Finanzbuchhaltung gibt im wesentlichen einen Überblick darüber, wie hoch die Ein- und Ausgaben eines laufenden Jahres sind. Sie führt aber nicht den Stand des Vermögens auf. Es tauchte zum Beispiel nicht im Haushalt auf, wenn ein Gebäude an Wert verloren hat. "So entstanden in Zeiten hoher Haushaltsdefizite Anreize, Gebäude der Kommunen nicht zu sanieren", sagt Corsten.

Die Innenminister mehrerer Bundesländer beschlossen, dass Vermögensgegenstände einer Kommune in den Haushalt einzubeziehen seien. So musste auch Viersen den Wert seiner Schulen, Straßen, selbst seiner Büroausstattungen schätzen. Nun stehen diese Werte in den Haushaltsentwürfen der Kommune. Verliert eine Schule an Wert und wird nicht saniert, wirkt sich das auf die Bilanz ebenso aus wie eine Ausgabe.

Von technischer Seite her erstellt das kommunale Rechenzentrum (KRZN) Niederrhein die Haushalte für Viersen. Es gehört 42 Kommunalverwaltungen, darunter der Stadt. Das Computerprogramm, mit dem das KRZN die Haushalte erarbeitete, sollte nicht weiterentwickelt werden. Daraufhin einigten sich die Kommunen, ein neues Programm zu beschaffen.

Die Umstellung der Software musste ausgeschrieben werden. Aufgrund von Beanstandungen musste die Ausschreibung wiederholt werden. "Dadurch ist eine Verzögerung von mehreren Monaten eingetreten", sagt Corsten.

Doch auch, als das neue Programm da war, gab es Probleme. Die Mitarbeiter beim KRZN, aber auch bei der Stadt Viersen mussten lernen, damit umzugehen. Andere Computerprogramme passten nicht zum neuen. Zuvor einfache Arbeiten brauchten mehr Zeit.

Mit den Haushalten für 2008 und 2009 sei die Stadt inzwischen fast fertig, sagt Corsten. Sie müsse dem KRZN nur noch in einem Punkt Daten nachliefern. Im Frühjahr 2013 könnte dann der Jahresabschluss für 2008 fertig werden, Mitte des Jahres 2013 soll der Abschluss für 2009 folgen. Die Jahresabschlüsse bauen jeweils aufeinander auf, so dass mit dem Abschluss für 2010 erst Ende 2013 gerechnet wird. Bis dahin wird Viersen wohl bereits den Haushaltsplan für das Jahr 2014 beschlossen haben.

(RP/rl)
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