Dures Kückemanns Verlust niederrheinischer Kulturwirtschaft

Viersen · Heiteres, Nachdenkliches, Absurdes: Dures Kückemanns beobachtet die Menschen im Kreis Viersen Woche für Woche ganz genau – und lauscht interessiert ihren Gesprächen.

Dures Kückemanns: Verlust niederrheinischer Kulturwirtschaft
Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

Heiteres, Nachdenkliches, Absurdes: Dures Kückemanns beobachtet die Menschen im Kreis Viersen Woche für Woche ganz genau — und lauscht interessiert ihren Gesprächen.

Indirekt komme ich aus einer Unternehmerfamilie, Freunde. Mein Onkel Matthias war nämlich selbstständiger Schneidermeister. Seine Aufträge bekam er von Stammkunden und in der Kneipe. Morgens, nach dem Frühstück mit Tante Lina, hockte er sich in die Schneiderstube und nähte. Um kurz vor 11 Uhr nahm er den Hut von der Garderobe und ging in die nahe Schankwirtschaft. Um die Zeit hockten dort Handwerker und Kaufleute beim Bier. Wenn Onkel Matthias nach Haus kam, hatte er meist einen neuen Auftrag: eine Hose kürzen, den Riss in einem Jackett beseitigen, einen Mantel umändern, sprich: weiten. Onkel Matthias lebte schließlich in der Zeit des Wirtschaftswunders. Da war eine gewisse Körperfülle ein Zeichen von Wohlstand. Heute muss man ja ein Hungerhaken mit möglichst spitzen Knochen sein, um was herzumachen. So fällt dann wenigstens nicht weiter auf, wie wenig in den passend kleinen Köpfchen steckt.

Wer heute ein Geschäft machen will, kann nicht in eine Schankwirtschaft gehen. Erstens gibt es die nicht mehr, zweitens werden keine Zigarren mehr geraucht und dabei kein Bier mehr getrunken. Und drittens geht keiner mehr in die Schankwirtschaft, um da ein Geschäft abzuschließen. So schied ein Stück niederrheinischer Wirtschaftskultur dahin.

Zum Geschäftemachen geht man heute ins Netz. Das ist zum einen das Internet, zum anderen ein Gespinst, das die Politik und ein paar arbeitslose Hungerleider mit BWL-Abschluss geschaffen haben. Sie nennen es Netzwerk. Weil die gute alte Schankwirtschaft nicht mehr existiert, haben die Unternehmer keinen Stammtisch mehr, an dem sie das Ergebnis einer Ausschreibung absprechen und sich gegenseitig Aufträge zuschanzen können. Damit sie sich doch noch finden, haben die Politiker und BWL-Hungerleider das Netzwerk erfunden. Sie nehmen Unternehmer an die Hand und zerren sie an Stehtische, zwischen denen Lachshäppchen und Pinnogridschio oder Schardonnai serviert werden. Ein Volkstribun schreitet begrüßend zur allgemeinen Kopfwäsche. Dann moderiert eine Mieze vom Fernsehen ein sinn- und belangloses Gespräch mit geladenen Fachleuten. "Dat sin Patenschwätzer und stäehle mich maar bloß den Tied", hätte mein Onkel Matthias geknurrt und wäre heimgegangen. Hungrig und durstig, weil er keinen Fisch mochte und Wein nur unter Zwang beim Königs-Galaball der Schützen zu sich nahm.

Mit einem Computer hätte er auch nichts anfangen können. Onkel Matthias hat immer selbst Buch geführt und das Passwort hatte er im Kopf. Ganz sicher. Denn als er starb, stand Tante Lina da mit jeder Menge offener Rechnungen, die sie nicht mehr eintreiben konnte. Wie hätte sie herausfinden sollen, wer der "Netelekei" war, dem der Onkel neue Manschetten ans Hemd genäht hatte? Oder wer sollte der "Schuss im Walde" sein, der ein neues Innenfutter im Mantel erhalten hatte? Und auch der "Streuselkook" musste nie dafür bezahlen, dass der Onkel ihm Seidenrevers am Anzugskragen gemacht hatte. Die Entschlüsselung der Spitznamen nahm Onkel Matthias ins Grab.

Bis zum nächsten Mal

(RP/ac)
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