Schwalmtal Unterschlupf in einem alten Büro

Schwalmtal · Wenn es Jugendliche zu Hause nicht mehr aushalten, stehen sie oft vor dem Nichts. Damit sie nicht obdachlos werden, hat die Pfarre St. Matthias in Schwalmtal eine Notunterkunft eingerichtet. Für Marco (19) war sie der letzte Ausweg.

 Streetworker Joachim Hambücher ist froh, dass Marco in der Notunterkunft sein Leben neu hat ordnen können. Hambücher unterstützt die jungen Leute – wieder auf die Füße kommen müssen sie aber selbst.

Streetworker Joachim Hambücher ist froh, dass Marco in der Notunterkunft sein Leben neu hat ordnen können. Hambücher unterstützt die jungen Leute – wieder auf die Füße kommen müssen sie aber selbst.

Foto: Franz-Heinrich Busch

Marco (19) sitzt in einem spartanisch eingerichteten Zimmer. Ein Bett, ein Sofa, ein Tisch mit einem Fernseher, der nicht funktioniert. Doch Marco ist das egal. Er hat sein Leben in diesem Zimmer neu ordnen können. Zum Ende des Jahres wird er wieder zu seinen Eltern ziehen. "Das eine Jahr Abstand zu ihnen hat allen gut getan", sagt er.

Marco zog mit 18 Jahren zu Hause aus. "Ich hatte eine Freundin, die rosarote Brille auf", sagt er. Als seine Freundin, von der er sich inzwischen getrennt hat, ein Kind von ihm bekam, eskalierte die Situation zu Hause. "Ich war bockig. Mit 18 habe ich gesagt: Ich ziehe aus." Die Schule hatte er abgebrochen, beim Jugendamt war er kein Unbekannter. Marco hatte nichts mehr. "Erst bin ich zu Bekannten gezogen, aber dort aus der Wohnung rausgeflogen. Dann bin ich zu meinem Opa gezogen." Als es dem Großvater gesundheitlich schlechter ging, musste Marco sich abermals eine neue Bleibe suchen. Seine einzige Möglichkeit: das Obdachlosenheim. "Man hat in der Situation nicht viel und greift zum letzten Mittel. Ins Obdachlosenheim wollte ich nicht."

Über eine gute Freundin erfuhr er von Streetworker Joachim Hambücher, der zusammen mit der Pfarre St. Matthias in einem alten Büro eine Notunterkunft eingerichtet hat. Marco nahm Kontakt mit Hambücher auf. Weil die kleine provisorische Wohnung belegt war, musste Hambücher ihn erst einmal vertrösten. Nach einiger Zeit aber wurden die zwei Räume frei, Marco konnte einziehen.

Mit Hilfe des Streetworkers gelang es Marco, sein Leben zu ordnen. Er fand eine Ausbildungsstelle als Bäckereifachverkäufer. Bei Behördengängen unterstütze der Streetworker ihn ebenfalls. "Ich bin froh, dass ich ihn habe", sagt Marco über Joachim Hambücher.

Der Kontakt zu den Eltern war abgerissen. Doch nach einer Weile gelang es dem Streetworker, zwischen den Eltern und dem Sohn zu vermitteln. "Marcos Mutter war ganz froh, dass er einen Ansprechpartner in mir hatte", erzählt Hambücher. Das ist selbst für Marco neu — bis zum Gespräch mit unserer Zeitung wusste der junge Mann gar nichts davon. Hambücher schmunzelt.

Das er zum Ende des Jahre wieder bei seinen Eltern einziehen würde, hätte sich Marco vor vier Monaten niemals vorstellen können. Das Verhältnis zur Mutter seines Kindes ist nach wie vor nicht gut, doch Hambücher glaubt fest daran, dass ein normaler Umgang wieder gelingen kann — allein dem Kind zuliebe. Seinen Sohn sieht der junge Vater regelmäßig, Zu Weihnachten kommt er einen Tag zu ihm.

Hambücher hat das Schlafhaus eingerichtet, weil der Bedarf da war. "Wir machen das nun seit eineinhalb Jahren, und es war immer belegt." Sechs Jugendliche fanden dort für eine kurze Zeit ein Dach über dem Kopf und Unterstützung. "Fünf von ihnen haben ihr Leben in den Griff bekomme, haben Arbeit gefunden", schildert der Streetworker die zurückliegenden Monate. Er kritisiert die Wohnungssituation in Schwalmtal: Für Menschen wie Marco fehle der Wohnraum. In Brüggen hätte der junge Mann ein Zimmer bekommen können, doch dort habe man 600 Euro Kaution verlangt, erklärt Hambücher. "Das Geld haben diese Jugendlichen einfach nicht — geschweige denn das Geld für eine erste Einrichtung."

Die Jugendlichen, die mit 18 Jahren oder schon früher das Elternhaus verließen, hätten ernsthafte Probleme, so Hambücher. Er sagt: "Die machen das nicht freiwillig, weil sie Lust dazu haben. Die meisten jungen Leute ziehen erst mit Anfang 20 zu Hause aus."

Obdachlosenunterkünfte, in denen Marco ein Dach über dem Kopf bekommen hätte, gibt es zum Beispiel in Mönchengladbach und Kaarst. "Meiner Meinung nach ist das dort nicht der richtige Ort für junge Menschen", sagt Hambücher. Darüber hinaus wollten die meisten jungen Leute aber auch nicht weg aus ihrer Heimatgemeinde.

Für sie gibt es nun also das Schlafhaus im alten Büro in Schwalmtal. Haben sie kein Geld, wohnen sie dort erst einmal kostenlos. Haben sie eine Arbeit, zahlen sie eine kleine Miete. "Es gibt klare Regeln", sagt Streetworker Joachim Hambücher: "Die Jugendlichen, die hier einziehen, müssen mitarbeiten und ihr Leben in den Griff bekommen. Und es dürfen nicht massiv Drogen konsumiert werden."

Er wünscht sich für seine Schützlinge ein Haus oder eine Wohnung, die müsste vier Zimmer haben und einen Gemeinschaftsraum. Doch er weiß auch, dass die Finanzierung solch einer Einrichtung nicht leicht zu stemmen ist.

(RP)
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