Sportlerwahl Görtz entdeckte sein Talent erst spät

Viersen · Der Süchtelner sprang einst mit einer Bohnenstange an die Kirschen des Nachbarn – und holte nun Gold bei der Senioren-EM.

Der Süchtelner sprang einst mit einer Bohnenstange an die Kirschen des Nachbarn — und holte nun Gold bei der Senioren-EM.

Im spanischen San Sebastian sorgte Reiner Görtz vom ASV Süchteln in der Altersklasse ab 70 Jahre für eine große Überraschung. Bei den Senioren-Winterwurf-Europameisterschaften warf Görtz den Speer 41,98 Metern weit — das reichte für den Titel und den Sieg über den vielfachen Europa- und Weltmeister Kalevi Honkanen (Finnland, 41,40), der als Favorit in den Wettkampf gestartet war. "Gegenüber vergangenem Jahr warf ich mit einer Oberschenkelzerrung 84 Zentimeter weiter", sagte der Gewinner stolz.

Der 72-Jährige ist ein Werfer, der von der Wurfkraft profitiert: "Meine Technik ist noch nicht so ausgereift, wie ich mir das vorstelle. Wenn sie so wäre mit dem letzten Impulsschritt, könnte ich glatt zwei Meter weiter werfen." Deshalb beginnt er jetzt mit einem intensiven Training in Schnellkraft und mit Hanteln. "Ich muss dann in der Woche 20 000 Kilogramm heben."

Görtz konzentriert sich nicht alleine auf Speerwurf, sondern verstärkt auch die Taktzahl der Trainingseinheiten für den Zehnkampf bei der WM in Brasilien: "Da will ich es wissen und endlich den 22 Jahre alten Landesverbandsrekord brechen, was mir bisher in zwei internationalen Meisterschaften nicht gelungen ist." Er hatte schon großes Talent als junger Mann beim TV Schiefbahn, aber zeigte zu diesem Zeitpunkt nicht so viel Ehrgeiz. "Ich ließ mich als Jugendlicher nicht unter Leistungsdruck setzen."

Nach seiner Fußballtätigkeit als Abteilungsleiter beim ASV Süchteln fing er mit 60 Jahren wieder an, Leichtathletik zu betreiben. Er erinnerte sich: "Ohne Training fuhr ich zu den Landesmeisterschaften und holte auf Anhieb im Speerwurf den Titel mit 39,55. Der Favorit fragte Görtz damals hinterher: "Ich habe dich noch nie gesehen, kommst du aus dem Osten?" Er antwortete: "Ich habe 40 Jahre nichts mehr gemacht."

Seine zweite Leidenschaft ist Stabhochsprung. Als 14-Jähriger überlegte er in der Nachkriegszeit, wie er an die Süßkirschen des Nachbarn käme bei einer 2,50 Meter hohen Steinmauer. Er buddelte ein Loch, nahm eine Bohnenstange, lief an, setzte sie gekonnt in die Vertiefung und sprang auf die Mauer und naschte die Kirschen — zum Leidwesen des Nachbarn.

Die Schiefbahner Leichtathletikfreunde, die sich seit zehn Jahren alle zwei Jahre treffen, sprachen ihm Mut zu, an der Stabhochsprung-Landesmeisterschaft teilzunehmen. Mit einer drei Meter langen Aluminiumstange fuhr er mit dem Bus nach Rheydt und wurde belächelt - mit abgelaufenen Schuhen und Trikot des TV Schiefbahn. Das Endergebnis für ihn war gut. "Ich sprang bis zum Sieg 3,10 Meter. Meine Mitstreiter blieben nacheinander auf der Strecke mit niedrigeren Höhen und das trotz der besseren Ausrüstung. Ein Kampfrichter machte mir Mut, den Landesrekord von 3,40 Metern zu brechen, was mir dann nicht gelungen ist."

Dem ASV-er steht jetzt die Sommer-Freiluftsaison bevor: Teilnahmen bei den Nordrhein-, Westfalen- und Deutschen Meisterschaften und den World Master Games in Italien stehen an. "In Turin habe ich meinen Speerwurf-Titel zu verteidigen", sagte Reiner Görtz. "Der Höhepunkt sind für mich aber die anstehenden Weltmeisterschaften in Brasilien."

Wenn er nicht gerade Leichtathletik macht, taucht er mit Schwiegersohn Andreas Milka (49) und der 13-jährigen Enkelin Elisa im Mittelmeer an der Costa Brava.

(off)
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