Viersen "Sie schaden allen damit"

Viersen · Interview der CDU Bundestagsabgeordnete Uwe Schummer kritisiert das Verhalten von Kollegen seiner Fraktion, am Freitag vor einer Woche nicht im Bundestag beim Hammelsprung gewesen zu sein. Der Opposition wirft er schlechten Stil vor.

 Der CDU-Bundestagsabgeordnete Uwe Schummer äußert sich zum Hammelsprung im Bundestag und nimmt Stellung zum Thema Betreuungsgeld.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Uwe Schummer äußert sich zum Hammelsprung im Bundestag und nimmt Stellung zum Thema Betreuungsgeld.

Foto: archiv

Herr Schummer, wo waren Sie heute vor einer Woche?

Uwe Schummer (schmunzelt) Ich weiß, worauf sie anspielen. Ich war im Plenum im Bundestag in Berlin. Zunächst war ich in meinem Bundestagsbüro. Dort habe ich mit meinen Mitarbeitern einige Termine abgesprochen. Auf dem Bildschirm hatte ich den Parlamentskanal laufen. Die Debatten werden ja übertragen. Und dann habe ich eine SMS-Nachricht erhalten: "Kommen, Hammelsprung." Dann bin ich vom Paul-Löbe-Haus ins Reichstagsgebäude gegangen und war im Plenum.

Da haben Sie sich anders verhalten als manche Ihrer Fraktionskollegen.

Schummer Einige waren in der Tat unterwegs. Es fehlten rund 120 Kollegen aus den Fraktionen der Koalition. Und was mich auch etwas erschrocken hat und was ich in dieser Form noch nicht erlebt habe: Mehr als 200 Abgeordnete waren vor der Tür anwesend, gingen aber nicht in den Plenarsaal.

Aus den Reihen welcher Fraktionen waren diese Abgeordneten?

Schummer Die Abgeordneten kamen aus den Reihen von SPD, Grünen und der Linkspartei. Also gab es im Grunde zwei Ursachen, weswegen eine künstliche Beschlussunfähigkeit des Parlamentes hergestellt wurde. Zum einen haben sich ganze Fraktionen verweigert. Fraktionsführungen haben de facto ihren Abgeordneten verboten, ins Parlament zu gehen, um ihr Mandat auszuüben. Das waren SPD, Grüne und die Linkspartei. Und es gab mehr als 100 Abgeordnete der Koalition, die unterwegs waren, aus welchen Gründen auch immer. Ich denke: Wenn eine Parlamentswoche ist und das Mandat zu erfüllen ist, hat man — wenn man keine guten Gründe hat — in der Nähe des Parlamentes zu sein.

Waren darunter auch Abgeordnete, die damit zum Ausdruck bringen wollten, dass sie das Betreuungsgeld nicht wollen?

Schummer Das stand, als der Hammelsprung herbeigeführt wurde, gar nicht an der Tagesordnung. Das nächste Thema, das aufgerufen worden wäre, wäre die Energiewende gewesen. Es war kurz vor 12 Uhr, und man hätte von 12 bis 13 Uhr die Energiewende — auch ein wichtiges Thema — debattiert. Und das Betreuungsgeld wäre eine Stunde später dran gewesen so gegen 13 Uhr. Von daher gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Thema, das zum Hammelsprung aufgerufen war, und dem Betreuungsgeld. Zum anderen wäre das auch generell ein schlechter Stil. Arbeitsverweigerung oder Diskussionsverweigerung ist ja keine Form einer kultivierten Politik. Man stellt sich der Debatte und zwar im Plenum.

Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, der Ihrer Fraktion angehört, sagt: Das war von der Opposition ein wenig trickreich, aber in Ordnung.

Schummer Formal ist es so richtig. Aber nicht alles, was formal richtig ist, ist auch politisch verantwortlich. Wenn ich jedes Jahr aus dem Kreis Viersen 2400 Besucher im Deutschen Bundestag empfange, um parlamentarische Demokratie auch zu erklären und erlebbar zu machen, dann sind für mich solche Tricki-Methoden nicht hinnehmbar. Für mich ist das ein Verstoß gegen die guten politischen Sitten. Wir versuchen Sympathie und auch Unterstützung für die parlamentarische Demokratie aufzubauen. Auf der anderen Seite werden mit solchen Methoden die alten Vorbehalte, die Vorurteile gegen Politiker und gegen Parteien verstärkt. Damit hat man keinem geholfen und allen geschadet.

Diese Vorbehalte schüren nicht nur SPD, Grüne und Linkspartei mit ihrem Verhalten, sondern auch Ihre Fraktionskollegen, wenn sie nicht kommen. Werden Sie das Verhalten gegenüber Ihren Fraktionskollegen ansprechen?

Schummer Das Verhalten jedes einzelnen, der außerhalb des Plenums war, als der Hammelsprung beantragt wurde und keine triftigen Gründe hatte, war nicht in Ordnung. Das wird in der Fraktion ein Thema sein. Sie schaden ja uns allen damit.

Glücklich sind Sie über das Verhalten der Fraktionskollegen nicht.

Schummer Absolut nicht. Ich bin verärgert. Wenn man Parlamentswoche hat weiß man, die dauert Freitag etwa bis 15, 16 Uhr. Und es kann immer einmal ein Hammelsprung kommen. Und dann hat man seine Aufgabe zu erfüllen. Es gibt Kollegen, die sagen, ich habe da noch einen Heimattermin. Aber dafür gibt es ja auch die Aufteilung in zwei Parlamentswochen, in denen der Abgeordnete in Berlin sein Mandat zu erfüllen hat mit Präsenzpflicht im Bereich des Bundestages, und im Anschluss zwei Heimatwochen. Dann ist der Abgeordnete als Volksvertreter im Heimatkreis unterwegs. Und wenn Parlamentswoche ist, hat man bis Freitag 15, 16 Uhr da zu sein. Es sei denn, man hat triftige Gründe. Dann kann man sich bei der Bundestagsverwaltung und bei der eigenen Fraktion entschuldigen, aber die Entschuldigung muss vorliegen.

Was in dem ein oder anderen Fall aus Ihren Reihen möglicherweise nicht so war?

Schummer Ich gehe einmal davon aus. Das wird in der nächsten Fraktionssitzung am nächsten Dienstag besprochen werden, dass es nicht bei allen 100 Abgeordneten der Koalition der Fall war. Es ändert aber auch nichts daran, dass sich die doppelte Anzahl von ihren Fraktionsführungen haben sagen lassen, sie dürften das Mandat nicht ausüben.

Fürchten Sie, dass das Verhalten von der einen oder anderen Seite zu noch mehr Politikverdrossenheit beitragen wird?

Schummer Mit Tricks zu arbeiten und keine gepflegte Diskussion zu führen führt zur Verdrossenheit. Das Parlament ist der Ort der Argumente, des Austausches. Da sollte der Austausch auch geführt werden. Sich zu verweigern, ob freiwillig oder aus taktischen Gründen, ist ein Verstoß gegen solche guten Sitten, und das führt unweigerlich dazu, dass die Verdrossenheit zunimmt. Es gibt keine Gewinner, es gibt nur Verlierer.

Es gab auch Stimmen, die sagten, Ihre Fraktionsgeschäftsführer hätten es womöglich falsch eingeschätzt, dass sich einige Fraktionskollegen frühzeitig ins Wochenende aufmachen wollten.

Schummer Das wäre in meinen Augen ein merkwürdiges Mandatsverständnis. Wenn ich Parlamentswoche habe und am Freitag im Heimatkreis einen Termin habe, dann sage ich, dass es länger dauern könnte, dass der Termin unsicher ist. Das ist eine Sache der Organisation. Um es in einem Bild zu sagen: Wenn der Abgeordnete auf Montage in Berlin ist, hat er so lange dort zu bleiben, bis die Maschine montiert ist.

Um im Bild zu bleiben: Sind Sie in der nächsten Woche wieder auf Montage in Berlin?

Schummer So ist es.

Sind Sie eigentlich für das Betreuungsgeld?

Schummer Im Kern bin ich dafür. Denn meiner Auffassung nach wird durch ein solches Instrument die Erziehungskompetenz der Familie gestärkt. Aber es kann nicht sein, dass das Betreuungsgeld so, wie es jetzt von der CSU vorgeschlagen worden ist, in das Parlament gebracht wird und das Parlament darf es nicht verändern. Da gilt der alte Grundsatz, den ich gelernt habe: Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es eingebracht worden ist. Es ist das Recht der Abgeordneten, Gesetze zu verändern. Ich würde ganz gerne überlegen, ob man das Betreuungsgeld mit einem Bildungskonto von Geburt an mit 150 Euro als Startkapital kombiniert, Ein solches Konto ist auch im Koalitionsvertrag verankert. Dann könnte man den Bildungsgedanken mit dem Betreuungsgeld verbinden. Es gibt auch andere Modelle, zum Beispiel von der Gruppe der Frauen. Wir werden das Betreuungsgeld beraten, und es wird auch verändert werden.

Christian Heidrich führte das Gespräch

(RP/rl)
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