Erinnern an Opfer der Nationalsozialisten Schwalmtaler Schüler klagen Täter aus NS-Zeit an
Schwalmtal · Jugendliche der Hauptschule Schwalmtal organisierten eine Gedenkveranstaltung für die Opfer der Nationalsozialisten. Sie fanden eine ungewöhnliche Form, sich den Verbrechen der NS-Zeit zu nähern.
Wer darf älter werden? Wer darf leben? Um diese Fragen ging es bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus. Zehn Schüler hatten etwas Ungewöhnliches geplant: Sie hatten Anklageschilder vorbereitet; dazu gehörten etwa: „Angeklagt werden die Reichsregierung als Gesetzgeber des Euthansie-Erlasses. Der Reichskanzler als Verfasser des Geheimerlasses, mit dem der ‚Gnadentod‘ angeordnet wurde. Der Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leid, Berliner Behörde auf der Tiergartenstraße 4“, sagten sie.
Die Liste der Angeklagten war lang. So viele Menschen, die alle ein Stück Verantwortung für dieses Verbrechen auf sich geladen haben. „Hebammen und Ärzte meldeten alle Fälle von Behinderungen an Bezirksleiter. Von dort erfolgte nach einer kurzen Untersuchung oft sehr schnell die Einweisung in die Kinderfachabteilung“, schilderten die Jugendlichen. Namentlich werden Ärzte und Pflegerinnen genannt, die sich durch ihr Verhalten schuldig machten. Etwa Dr. Hildegard Wesse, von 1941 bis 1943 Leiterin der Männerabteilung, übergangsweise auch der Kinderabteilung Waldniel Hostert und von 1943 bis 1945 Leiterin der Frauen- und später Kinderabteilung in Uchtspringe. „Sie wird für ihren Eifer bei der Behandlung der Patienten belobigt und erhält eine finanzielle Zuwendung. Unter ihrer Leitung erfolgt die Ausdehnung des Euthanasieprogramms auch auf den Erwachsenenbereich“, beschrieben die Jugendlichen. Die Täter hätten alt werden dürfen, den Menschen in ihrer Obhut habe man ein langes Leben verwehrt.
Die Leiterin der Gemeinschaftshauptschule Schwalmtal, Jutta Weidemann-Tigges, fand eindrucksvolle Worte, die die Pflicht, an das Geschehene auch nach so langer Zeit zu erinnern, hervorhoben.
Lehrerin Astrid Symanski-Pape erläuterte etwa Zwangssterilisationen ab 1933: „Menschen aus Waldniel wurden in Krankenhäusern in Viersen und Mönchengladbach behandelt. Alle, die nicht den Rasseidealen entsprachen, waren davon betroffen.“ Ab August 1939 mussten missgestaltete Neugeborene durch Ärzte und Hebammen weiter gemeldet werden. Dies galt für Kinder, die ab 1936 geboren wurden, schilderte sie. „1939, zwei Wochen nach dem Einmarsch der Reichsarmee in Polen, erfolgt der handschriftliche Erlass des Reichskanzlers, dass Menschen, die unheilbar an einer psychischen Erkrankung oder einer körperlichen Einschränkung litten, der Gnadentod erteilt werden soll“, beschrieb sie weiter.
Symanski-Pape dankte allen Anwesenden für den Respekt, den sie dem Anlass und der Gedenkstätte entgegenbrachten. „Wir müssen wachsam und aufmerksam werden. Stellen wir uns gegen die Nationalisten, schützen wir das Leben aller Menschen“, sagte sie. Bürgermeister Andreas Gisbertz (CDU) dankte all den Schülern, die seit 1986 die „Traditionen pflegen und an das Unbegreifliche erinnern. 99 Kinder wurden hier nachweislich im Rahmen des Euthanasieprogramms ermordet“. Mit seinen Stellvertretern Gisela Bienert (CDU) und Jupp Pascher (SPD) sowie dem Niederkrüchtener Bürgermeister Kalle Wassong (parteilos) legte er Blumen an der mit Namensplaketten bestückten Wand nieder. Mit dem evangelischen Pastor Horst-Ulrich Müller wurde ein Vater-Unser gesprochen.