Gedenken in Viersen Schüler putzen Stolpersteine

Süchteln · Zehntklässler waren mit Schwamm und Scheuermilch in Süchteln unterwegs, um Stolpersteine zu reinigen. Die Idee dazu hatte der Verein zur Förderung der Erinnerungskultur.

Stolpersteine putzen in Viersen
9 Bilder

Stolpersteine putzen in Viersen

9 Bilder
Foto: Nadine Fischer

Julietta Breuer hat eine große Korbtasche dabei, die sie auf dem Bürgersteig an der Hindenburgstraße abgestellt hat. Ein Strauß gelbe Rosen befindet sich darin, außerdem hat das Mitglied des Vereins zur Förderung der Erinnerungskultur Viersen 1933-45 eine große Flasche Scheuermilch, eine Packung Gummihandschuhe, Spülschwämme und mehrere 1,5-Liter-Wasserflaschen mitgebracht. Gleich wird sie die Putzmittel an zehn Zehntklässler der Gemeinschaftshauptschule Süchteln aushändigen, die mit ihr und Religionslehrerin Helga-Maria Reussing an diesem Vormittag auf dem Bürgersteig stehen. Denn die 15- bis 17-Jährigen haben etwas vor: Sie möchten die acht Stolpersteine, die im Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus neben der ehemaligen Synagoge an der Hindenburgstraße verlegt wurden, wieder zum Glänzen bringen. Deutschlandweit wird der 9. November für Aktionen wir diese genutzt, im Gedenken an die Pogromnacht vor 84 Jahren.

Bevor Julietta Breuer die Putzmittel verteilt, erzählt sie den Schülerinnen und Schülern von der Pogromnacht in Süchteln. Dabei stützt sie sich vor allem auf Zeitzeugenberichte, die der Verein zur Förderung der Erinnerungskultur recherchiert hat. Insgesamt gebe es nur wenige Quellen, merkt sie an. Was die Schüler aber zum Beispiel erfahren: Dass die Inneneinrichtung des Gebetsraums, der sich in der ersten Etage des Gebäudes befand, zertrümmert wurde. Unten im Haus war ein Friseursalon einer nicht-jüdischen Familie, wohl deshalb wurde es von den Nazis nicht in Brand gesteckt. Rabbiner Leopold Baum sei in jener Nacht „blutig geschlagen“ worden. Parteileute seien gezielt in die Häuser der Juden eingedrungen, hätten dort alles Inventar zerschlagen, die Juden misshandelt und durch die Straßen geführt. „Das war ein Staat, in dem alle Macht von oben ausging. Heute haben wir eine Demokratie“, sagt Breuer an die Zehntklässler gewandt. „Wir möchten, dass ihr unseren Staat schätzt und gegen die Menschen argumentiert, die ihn zerstören möchten“, ergänzt sie.

Dann verteilt Breuer die Putzmittel und es dauert nicht lange, bis die mit einer dunkelgrauen Schicht überzogenen Messingplatten der Stolpersteine immer heller werden. „Die glänzen jetzt viel mehr und kommen viel mehr zur Geltung“, sagt Schülerin Michelle. Zum Schluss legen die Zehntklässler noch zwei gelbe Rosen zu den Steinen, bevor sie zur nächsten Station gehen. Denn unter anderem auch an der Hochstraße, wo die jüdische Familie Lifges lebte, reinigen sie die drei dort verlegten Stolpersteine, außerdem die vier Steine am Lindenplatz, wo Mitglieder der Familie Baum wohnten.

„Ich finde es schon krass, was hier passiert ist“, sagt Justin, während er einen der Steine am Lindenplatz putzt. „Meine Oma hat mir auch schon viel über die Zeit erzählt“, ergänzt Kacpar. Auch Ahmed findet das Thema sehr interessant, „ich habe dazu Dokus angeguckt und viel gelesen“, sagt er. Jetzt die Stolpersteine zu putzen, „das zeigt Respekt“, fügt er an. Durch die Aktion werde dafür gesorgt, dass die Stolpersteine wieder mehr Aufmerksamkeit erregen und „dass man nicht vergisst, was hier passiert ist“.

Für Julietta Breuer vom Verein zur Förderung der Erinnerungskultur ist die Aktion die erste Zusammenarbeit mit der Gemeinschaftshauptschule. Als sie ihre Idee vorgestellt habe, sei die Schulleitung direkt begeistert gewesen, erzählt sie. Klassenlehrerin Helga-Maria Reussing bereitete die Schüler im Unterricht darauf vor, „eigentlich ist Nationalsozialismus erst im zweiten Halbjahr der zehtnen Klasse Thema“, erklärt sie. Sowohl Breuer als auch Reussing können sich jetzt schon gut vorstellen, dann wieder eine gemeinsame Aktion zu organisieren.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort