Dülken Ein Leben mit seltenem Enzymdefekt

Dülken · Seit ihrer Kindheit leidet Rabea Sandkaulen an einer Stoffwechselstörung. In Deutschland sind weniger als 200 ähnliche Fälle bekannt. Die junge Dülkenerin engagiert sich in der Selbsthilfe und hofft auf neue Therapiemethoden.

 Ohne Wasserflasche geht gar nichts: Drei bis viereinhalb Liter trinkt Rabea Sandkaulen täglich, um ihre Nieren zu entlasten.

Ohne Wasserflasche geht gar nichts: Drei bis viereinhalb Liter trinkt Rabea Sandkaulen täglich, um ihre Nieren zu entlasten.

Foto: Jörg Knappe

Wo Rabea Sandkaulen ist, da ist auch immer eine Wasserflasche – meistens die 1,5-Liter-Variante. Zwei, eher drei solcher Flaschen leert die 19-Jährige pro Tag. Am liebsten trinkt sie stilles Wasser. Dass die Dülkenerin so große Mengen Flüssigkeit zu sich nimmt, ist für sie lebenswichtig: Sie leidet an der seltenen Stoffwechselstörung Primäre Hyperoxalurie Typ I. Vereinfacht ausgedrückt: „In meinen Organen setzt sich Kalk ab“, erklärt sie. Ein vererbter Enzymdefekt sorgt dafür, dass ihre Leber viel zu viel Oxalsäure produziert, ein Endprodukt des Stoffwechsels. Es bilden sich immer wieder Nierensteine, die Nierenfunktion wird im Verlauf schlechter. Dann lagert sich Oxalat auch in weitere Organe und Knochen ein. Es gibt kaum Therapiemöglichkeiten – viel Trinken gehört dazu. Doch heilen lässt sich die Krankheit so nicht. „Auf mich kommt eine Leber- und Nierentransplantation zu“, sagt Sandkaulen. „Ich weiß nur nicht, wann. Das ist schon bedrückend.“

In Deutschland seien weniger als 200 Erkrankte erfasst, sagt Bernd Hoppe vom Universitätsklinikum Bonn. Der Kinderarzt ist Experte für Nierenerkrankungen, gehört dem Deutschen-Hyperoxalurie-Zentrum an und behandelt Rabea Sandkaulen. „Als ich vier Jahre alt war, hatte ich starke Bauchschmerzen“, erzählt sie. Ihre Eltern wurden mit ihr von Arzt zu Arzt geschickt, in einer Spezialklinik bekam sie die Diagnose Primäre Hyperoxalurie. „Jeder scheidet Oxalat aus. Aber Patienten wie Rabea scheiden die fünf- bis siebenfache Menge aus“, erläutert Hoppe. Das bedeutet viel Arbeit für die Nieren, das Oxalat greift sie an, macht sie kaputt. Auch Herz und Augen können geschädigt werden.

Als Rabea acht Jahre alt war, organisierten ihre Mutter Michaela und deren Mitstreiter vom damals noch jungen Verein PH-Selbsthilfe – das PH steht für Primäre Hyperoxalurie – ein Benefizkonzert in Nettetal. 2012 folgte ein weiteres. An beiden Abenden sammelten sie Spenden, die in die Forschung fließen sollten. Zeitungen berichteten über das Mädchen mit der seltenen Stoffwechselstörung, sie sei auch fürs Fernsehen interviewt worden, erinnert sich die 19-Jährige. Dann wurde es in der Öffentlichkeit still um sie. „Ich wollte damals die Krankheit publik machen, das Ziel hatte ich erreicht“, begründet ihre Mutter Michaela. Vielleicht gebe es irgendwann aber doch noch ein Konzert, ergänzt sie. Dann könnte ihre Tochter helfen, es zu organisieren – sie engagiert sich mittlerweile auch im Selbsthilfeverein.

In den vergangenen sechs Jahren hat Rabea Sandkaulen Ballett getanzt und Tennis gespielt, am Clara-Schumann-Gymnasium Abitur gemacht, angefangen, auf Lehramt Englisch und Französisch zu studieren. Im Alltag merke sie nicht viel von ihrer Krankheit, sagt Sandkaulen. „Vielleicht mal leichten Druck im Rücken, wenn ich länger nichts trinke, wie nachts“. Doch unbeschwert sein, vergessen, dass eine ihrer Nieren schon total verkalkt ist, wohin das führt, wenn die Forschung nicht voran kommt: Das kann sie nicht. „Ich denke da schon die ganze Zeit drüber nach“, sagt sie und hofft einfach, dass sich die Behandlungsmöglichkeiten verbessern. Immerhin: „Viele Pharmakonzerne haben sich mittlerweile der Primären Hyperoxalurie angenommen“, sagt Professor Hoppe. In drei bis vier Jahren könnte es neue Therapiemöglichkeiten geben.

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