Viersener Persönlichkeiten Einsatz für junge Arbeiterinnen in Viersen

Die aktuelle Ausstellung im Viersener Salon stellt unter anderem Peter Norrenberg in den Mittelpunkt, der Pfarrer in Süchteln war.

 Der gebürtige Kölner Peter Norrenberg studierte in Bonn Theologie und wurde 1871 zum Priester geweiht. Im gleichen Jahr trat er seine erste Stelle als Kaplan an St. Remigius in Viersen an.

Der gebürtige Kölner Peter Norrenberg studierte in Bonn Theologie und wurde 1871 zum Priester geweiht. Im gleichen Jahr trat er seine erste Stelle als Kaplan an St. Remigius in Viersen an.

Foto: Stadt Viersen

Peter Franz Xaver Norrenberg ist einer der Protagonisten der aktuellen Ausstellung „Der Niederrhein – Schauplatz europäischer Geschichte“ des Vereins für Heimatpflege Viersen im Viersener Salon in der Villa Marx. Der gebürtige Kölner Norrenberg studierte Theologie in Bonn und wurde 1871 dort zum Priester geweiht. Im gleichen Jahr trat er seine erste Stelle als Kaplan an der Pfarre St. Remigius in Viersen an, die er 20 Jahre innehatte. Zugleich war er auch Lehrer an der dortigen höheren Schule.

 Die Viersener Aktienspinnerei und Weberei, die im 19. Jahrhundert auch viele Arbeiterinnen aus dem Ausland beschäftigte.

Die Viersener Aktienspinnerei und Weberei, die im 19. Jahrhundert auch viele Arbeiterinnen aus dem Ausland beschäftigte.

Foto: Kreisarchiv

Norrenberg war vielseitig begabt. Er verfasste ein sechsbändiges Werk zur Lokalgeschichte. Unter dem Pseudonym „Dr. Hans Zurmühlen“ entstand „Des Dülkener Fiedlers Liederbuch“. Er war ein Förderer des Vereinstheaters, so stellte er eine Sammlung über Theaterstücke für Gesellenvereine zusammen. Das von ihm verfasste Festspiel zur Süchtelner Hl. Irmgardis wurde im Jahr 1894 uraufgeführt.

 Das Haus des Arbeiterinnenvereins kurz nach den schweren Bombenangriffen im Februar 1945. Was aussieht wie ein wehender Vorhang im Fenster, ist eine Madonnenfigur.  Foto: Kreisarchiv Viersen

Das Haus des Arbeiterinnenvereins kurz nach den schweren Bombenangriffen im Februar 1945. Was aussieht wie ein wehender Vorhang im Fenster, ist eine Madonnenfigur. Foto: Kreisarchiv Viersen

Foto: Kreisarchiv

Der rührige Mann vergaß aber dennoch seine Aufgaben als Seelsorger nicht. Insbesondere das Wohl der Arbeiterinnen seiner Gemeinde war ihm ein besonderes Anliegen. Im Jahr 1876 schrieb die aus Ballymacarrett nahe dem nordirischen Belfast stammende Sarah Jane Potter an ihre in Viersen lebende Tochter Isabella einen heute noch im Viersener Kreisarchiv erhaltenen Brief. Sie freut sich darin, dass es ihrer Tochter gut geht und sich guter Gesundheit erfreut.

 Das Kirchenfenster in St. Clemens erinnert an Norrenberg.

Das Kirchenfenster in St. Clemens erinnert an Norrenberg.

Foto: Albert Pauly

Isabella Potter war eine der irischen Textilarbeiterinnen, die Anfang der 1870er Jahre nach Viersen gekommen waren. Arbeitskräfte waren rar, so suchte der Generaldirektor der Aktienspinnerei und Weberei, Franz Kolb, der selber in England tätig gewesen war, auch im englischen Ausland Arbeitskräfte. Die Arbeitsplätze in der Aktienspinnerei hatten in der Viersener Elternschaft keinen guten Ruf. Lange Zeit galt das mahnende Wort der Eltern an die Kinder bei mangelndem Schulfleiß: „Wenn du nit liers, dann kömmse na de Aks, in de naate Saal.“

 Peter Norrenbergs Grab auf dem Süchtelner Friedhof.

Peter Norrenbergs Grab auf dem Süchtelner Friedhof.

Foto: Albert Pauly

Die jungen Frauen von der Insel wiederum erhofften sich bessere Verdienstmöglichkeiten als in der irischen Heimat. Die Mädchen wagten die Reise in das ferne Land. Sie verstanden die Sprache nicht, kannten das Land und seine Gepflogenheiten nicht, hatten ihre Familie und ihre Freunde verlassen. Gerade in Viersen angekommen, wurden sie auf dem Gelände ihres neuen Arbeitsplatzes, der Viersener Aktienspinnerei, untergebracht.

Kaplan Norrenberg sprach sehr gut Englisch, so kam er in Kontakt mit den irischen Arbeiterinnen. Er sah die Probleme der jungen Frauen und nahm sich ihrer an.

Der Wirtschaftshistoriker und Professor für Nationalökonomie Alphons Thun bereiste 1877 und 1878 den Niederrhein und untersuchte die Lebensbedingungen der Arbeiterschaft. Er beschreibt die Verhältnisse der ausländischen Arbeiterinnen so: „Hier sollten englische Feinspinnerinnen ihre deutschen Schwestern die schwere Kunst lehren, diese der mütterlichen Erde entrissenen Arbeiterinnen waren völlig zügellos; ihr Beispiel wirkte zerstörend auf die sittlichen Zustände.“ „Die Mädchen wollen eben ungebunden sein; sie sehen ihre Freiheit in vollkommener Aufsichtslosigkeit und Zügellosigkeit. Haben sie doch jung das Vaterhaus verlassen, um ihre Kraft in der Welt zu erproben. Selbst verdienen sie ihr Geld, selbst wollen sie es ausgeben; über die wenige freie Zeit wollen sie frei disponiren, sie wollen weder befragt, noch kontrollirt sein.“

Norrenberg beschloss dem entgegenzuwirken. Dazu gründete er den Viersener Arbeiterinnenverein. Ursprünglich nur für die englischen Arbeiterinnen gedacht, entwickelte sich dieser bereits ein Jahr später zur Zufluchtsstätte ebenso zahlreicher deutschsprachiger Vereinsmitglieder. Zunächst stellte die Viersener Industrieschule eine Räumlichkeit zur Verfügung. Diese erwies sich aber rasch als unzweckmäßig und zu klein.

Anfang 1877 erwarb der Verein ein Grundstück am Portiunkulaweg. Bereits im Mai desselben Jahres fand die Einweihung des Vereinsgebäudes und der Vereinsfahne statt. „Im Christlichen Geiste die Sittlichkeit unter unseren Arbeiterinnen zu heben, ist das Ziel unserer gesamten Vereinstätigkeit,“ so Norrenberg. Der Verein war kein kirchlicher Verein, fußte aber auf christlichen Grundsätzen.

Jahrzehntelang war der Verein ein Heim für die Viersener Arbeiterinnen. Die englischen Mädchen fanden hier ein Stück Heimat. Einige Viersenerinnen gaben ehrenamtlich für die Mädchen Handarbeits-, Flick-, Bügel- und Kochkurse. Eine Laienspielgruppe und ein großer Chor entstanden und gestalteten unter anderem die Vereinsfeste. Bildende Vorträge, Ausflüge, Musik, Literatur sollten bei den Mädchen so manche schulische Lücke füllen.

Die Vereinsmitglieder sollten nicht nur Unterstützung erfahren, sondern auch befähigt werden, sich selbst zu organisieren. Bis zu seiner Berufung als Pastor in Süchteln im Jahr 1891 blieb Peter Norrenberg Präses des Arbeiterinnenvereins. Der Verein wurde im Jahr 1942 durch Beschluss der Nationalsozialistischen Regierung aufgelöst. Das Haus am Portiunkulaweg wurde verkauft.

Bereits im Alter von 47 Jahren starb Peter Norrenberg 1894 plötzlich in Rhöndorf am Rhein an einem Gehirnschlag. Er wurde auf dem Süchtelner Friedhof beerdigt, wo seine Grabstätte heute noch zu finden ist.

Welche große Bedeutung sein Werk für Viersen hatte, zeigt sich daran, dass nach ihm eine Straße in Süchteln benannt und der Kreis Viersen ihm eine Gedenkmedaille gewidmet hat. In der Süchtelner Pfarrkirche St. Clemens trägt ein Kirchenfenster seinen Namen.

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