Schwalmtal Pesch: "Wir fühlen uns allein gelassen"

Schwalmtal · Die Gemeinde Schwalmtal sucht für die wachsende Zahl von Flüchtlingen dringend Wohnungen. Sie muss sich um die Unterbringung und Versorgung kümmern. Für die Betreuung haben Ehrenamtler ein dichtes Netz gebildet.

 Neben den Mitarbeitern in der Gemeindeverwaltung und in der Pfarrei kümmern sich in Schwalmtal viele ehrenamtliche Helfer um die Flüchtlinge, zum Beispiel hier in der Kleiderstube. Bei der Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden hofft die Gemeinde aber auf mehr Unterstützung von Bund und Land.

Neben den Mitarbeitern in der Gemeindeverwaltung und in der Pfarrei kümmern sich in Schwalmtal viele ehrenamtliche Helfer um die Flüchtlinge, zum Beispiel hier in der Kleiderstube. Bei der Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden hofft die Gemeinde aber auf mehr Unterstützung von Bund und Land.

Foto: Busch

Der Hausmeister der Gemeinde hat Verstärkung bekommen, jetzt sucht das Sozialamt einen weiteren Mitarbeiter. Die Gemeindeverwaltung in Schwalmtal wächst, denn es kommen immer mehr Flüchtlinge, die untergebracht und versorgt werden müssen. Zu Jahresbeginn zählte Schwalmtal noch 100 Flüchtlinge, jetzt sind es 260. Allein im September wurden der Gemeinde 53 Menschen neu zugewiesen, im Oktober kamen bis gestern 34 Flüchtlinge an.

Der Durchschnittswert von etwa 13 Zuweisungen pro Woche wird noch steigen, so die Prognose. Mit Blick auf die wachsende Zahl der Flüchtlinge arbeitet die Verwaltung fieberhaft daran, mehr Plätze für die Schwalmtal zugewiesenen Menschen einzurichten - unter anderem in ehemaligen Briten-Häusern am Zoppenberg, in einem Haus, das das Kinderdorf Bethanien der Gemeinde zur Verfügung stellte, in einer Wohnung auf dem Kinderdorf-Gelände und im ehemaligen Naafi-Gebäude an der Dülkener Straße.

Sind all diese Gebäude in den kommenden Wochen fertig eingerichtet, hat Schwalmtal Platz für insgesamt 445 Flüchtlinge. Diese Plätze werden wohl, so glaubt Sozialamtsleiter Werner Bongartz, bis Dezember belegt sein. Daher sucht die Gemeinde dringend weitere Wohnungen, größere Gebäude oder Gewerbeimmobilien, die sie für die Unterbringung von Flüchtlingen nutzen kann. Die Gemeinde habe eine weitere Gewerbeimmobilie in Aussicht, in der bis zu 100 Menschen untergebracht werden könnten, berichtet Bürgermeister Michael Pesch. "Wer Wohnraum hat, möchte uns bitte anrufen", so Pesch. Das gelte auch für leerstehende Gewerbeimmobilien. Die Verwaltung sehe sich das Gebäude an und könne feststellen, ob es geeignet sei. Die Gemeinde könne keine Komplettsanierung bezahlen, aber manchmal finde sich eine Lösung. Ideal sei das etwa mit dem Naafi-Gebäude gelaufen, so Pesch: Der Eigentümer lasse Küchen und Sanitärräume einrichten, die Gemeinde miete das Gebäude dann. Dieser Weg sei auch der schnellste, bestätigt Kämmerin Marietta Kaikos: Wolle die Gemeinde ein Gebäude umbauen, müsse sie für die Vergabe der Handwerksleistungen die üblichen Verfahrenswege nehmen, und das dauere mitunter lang. Ein Privateigentümer beauftrage einfach einen Handwerker, und das gehe deutlich schneller. Sporthallen möchte die Gemeinde Schwalmtal nicht zur Flüchtlingsunterbringung nutzen, wenn es sich vermeiden lässt. "Ich sehe die Willkommenskultur gefährdet, wenn wir anfangen, Turnhallen zu belegen", so Pesch. Sollte aber die Gemeinde im Rahmen der Amtshilfe 150 Flüchtlinge auf einmal unterbringen müssen, und das innerhalb von zwei Tagen, werde ihr nichts anderes übrigbleiben. Noch frage die Bezirksregierung so kleine Kommunen wie Schwalmtal nicht, aber was noch komme, wisse keiner. "Administrativ könnten wir das gar nicht leisten", fürchtet Pesch. Müsste die Gemeinde beispielsweise die Dreifachturnhalle belegen, fielen viele Stunden im Schul- und Vereinssport aus, da gebe es keine Alternative. Gleichzeitig teile das Schulministerium den Kommunen mit, dass der Schulsport unbedingt sicherzustellen sei, sagt Bongartz, "das ist eine Farce".

Mit der Verpflichtung der Kommunen, die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen, stehen viele Gemeinden zudem vor finanziellen Problemen. Schwalmtal ist bekanntermaßen knapp bei Kasse. Wegen der Haushaltskonsolidierung waren unter anderem Steuern erhöht worden. Dass Bund und Land einen Teil der Kosten für die Flüchtlingshilfe erstatten, angekündigte Gelder aber noch auf sich warten lassen, bereitet der Kämmerin Kopfzerbrechen: "Wir brauchen das Geld jetzt, aber wir haben kein Cash. Also müssen wir Kassenkredite aufnehmen."

Kaikos rechnet für 2015 mit einem Aufwand für die Flüchtlingshilfe in Höhe von 780.000 Euro, bei den Erträgen (Erstattungen eingerechnet) plant sie mit 280.000 Euro. 500.000 Euro müsste die Gemeinde also allein tragen. Das Geld fließt in die Unterbringung - zum Beispiel in Miete, Strom, Wasser, Abfallgebühren, Versicherung -, und in die Versorgung, also in Lebensmittel, Kleidung und Krankenhilfe. Berechnet wird die Erstattung nach der Zahl der Flüchtlinge, die der Gemeinde zu einem bestimmten Stichtag zugewiesen wurden. Für diese Menschen erhält die Gemeinde insgesamt eine Pauschale. Der Stichtag für das laufende Jahr war der 1. Januar 2014. Weil die Flüchtlingszahlen nun deutlich höher sind als 2014, wurden der Kommune zusätzliche Mittel angekündigt.

Für das kommende Jahr wird sich die Berechnungsgrundlage wohl ändern. Als Ergebnis des Flüchtlingsgipfels hat der Bund eine Pauschale von 670 Euro pro Asylsuchendem ab 2016 angekündigt. Das Geld erhält zunächst das Land, das die Mittel an die Kommunen weitergibt - bislang behielt das Land allerdings einen Teil der Mittel ein. Das Geld erhalten nicht die Flüchtlinge, sondern die Kommunen für die Versorgung und Unterbringung der Menschen. Und die Gemeinden bekommen das Geld unabhängig davon, wie hoch ihre Ausgaben tatsächlich sind. "Ob wir die Menschen in Containern unterbringen oder in Mietwohnungen, ob viele Kranke oder Schwangere zu uns kommen, ist dem Land egal", sagt Kaikos. "Der Weg kann nur sein, dass wir eine hundertprozentige Erstattung erhalten", sagt Pesch, da appelliere er an Bund und Land. Hohe Ausgaben hätte die Gemeinde etwa, wenn sie die Arztkosten für kranke Menschen tragen müsse. Man würde sich wünschen, dass die Kommunen an dieser Stelle nicht allein gelassen würden, "aber wir fühlen uns allein gelassen", so Pesch.

(RP)
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