Hilfe in der Krise Neue Notfallseelsorger im Kreis Viersen

Viersen · Zu 148 Einsätzen wurden im vergangenen Jahr im Kreis Viersen Notfallseelsorger gerufen, 30 mehr als im Vorjahr. Nun sind neun neue Seelsorger berufen worden — auch eine Dülkenerin und ein Süchtelner sind dabei.

 Koordinator Hans-Willi Kawaters (l.)  mit den neuen Notfallseelsorgern Ariana Ratz aus Dülken und Sebastian Dückers aus Süchteln.

Koordinator Hans-Willi Kawaters (l.)  mit den neuen Notfallseelsorgern Ariana Ratz aus Dülken und Sebastian Dückers aus Süchteln.

Foto: Nadine Fischer

Manchmal treffen Notfallseelsorger auf Eltern, deren Baby plötzlich gestorben ist. Manchmal haben sie es mit Müttern und Vätern zu tun, deren Sohn oder Tochter sich kurz zuvor das Leben genommen hat. Manchmal mit Familien, die gerade aus ihrem brennenden Haus entkommen sind oder mit Feuerwehrleuten, die eben noch vergeblich versucht haben, ein Menschenleben zu retten. Für diese Menschen da zu sein, ihnen zu helfen, diese Situation, in der sie sich gerade vielleicht einfach nur überfordert fühlen, zu bewältigen: Das ist Aufgabe des Notfallseelsorgers. „Wir sind für die Menschen da, so lange sie uns brauchen“, sagt Hans-Willi Kawaters, einer von zwei Koordinatoren der Notfallseelsorge im Kreis Viersen. Diese sei im Vergleich zu mancher Nachbarregion gut aufgestellt: „Wir haben hier großes Glück“, erzählt Kawaters. Erst vor wenigen Tagen wurden neun  neue Notfallseelsorger in den Dienst berufen – bis sie ihn antreten, dauert es aber noch ein paar Wochen.

Der Evangelische Kirchenkreis  und die Katholische Kirche tragen die Notfallseelsorge im Kreis Viersen und in Krefeld gemeinsam. „Im Kreis Viersen haben wir jetzt 55 Notfallseelsorger, 40 von ihnen sind ehrenamtlich tätig“, sagt Koordinator Kawaters. Die übrigen 15 seien Pfarrerinnen, Pfarrer und Gemeindereferenten. „Ohne die Ehrenamtlichen würde das System zusammenbrechen“, betont er. Allein im vergangenen Jahr sei die Notfallseelsorge 148 Mal – und damit 30 Mal mehr als 2020 – im Kreis Viersen über die Leitstelle alarmiert worden, weil zum Beispiel Notärzte oder Polizei sie in Krisensituationen angefordert habe. Dabei seien die Einsätze, die elf Notfallseelsorger im Sommer nach der Flutkatastrophe in den betroffenen Regionen  leisteten, nicht mitgezählt. 

Die neun neuen Notfallseelsorger, die nun beauftragt wurden, haben ihre Ausbildung 2021 angefangen. Zwei von ihnen sind Ariana Ratz aus Dülken und Sebastian Dückers aus Süchteln. Seit dem 16. Lebensjahr arbeite sie im sozialen Bereich, „ich helfe gerne“, sagt Ratz. So ist die 34-Jährige etwa auch ehrenamtlich beim Deutschen Roten Kreuz tätig. Sie arbeitet beim Landschaftsveraband Rheinland (LVR) in Süchteln als Heilerziehungspflegerin, derzeit betreue sie dort Kinder, erzählt sie. „Eine Zeit lang war ich auf einer Akut-Krisenstation im Jugendbereich eingesetzt“, ergänzt die Dülkenerin: „Da habe ich gemerkt, dass es mir liegt, gemeinsam Lösungswege aus Krisen zu finden.“ Also habe sie sich für die Ausbildung als Notfallseelsorgerin beworben und nach mehr als einem Jahr Wartezeit einen Platz bekommen.

Auch er habe mehr als ein Jahr auf einen Platz gewartet, erzählt der Süchtelner Sebastian Dückers. Der 31-Jährige arbeitet als Schornsteinfeger in Anrath, ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehren in Anrath und Süchteln. Bei einem Unfall-Einsatz habe er aus der Ferne einen Notfallseelsorger bei der Arbeit beobachtet, das habe sein Interesse geweckt – so führte sein Weg zur Notfallseelsorge-Ausbildung. „Ich wollte das auch für meine Kameraden machen“, sagt Dückers. „Um ihnen zu zeigen: Jungs, ihr könnt mit mir reden, ihr könnt zu mir kommen, wenn ihr Hilfe braucht.“

Zur 120- bis 150-stündigen Ausbildung gehören Theorie-Teile, in denen die Teilnehmer zum Beispiel in die psychosoziale Notfallversorgung eingeführt werden, aber auch praktische Einheiten: etwa Besuche auf Polizeiwachen, die Begleitung im Rettungswagen oder die Begleitung ausgebildeter Notfallseelsorger im Einsatz. Wegen der Corona-Pandemie hätten die Praxis-Teile allerdings zuletzt nicht wie gewohnt angeboten werden können, erläutert Koordinator Kawaters. Ariana Ratz berichtet, sie sei während der Ausbildung bei einem Einsatz dabei gewesen, „es ging um Suizid“. Während ihres Einsatzes habe sie ihre Kollegin bei der Arbeit beobachtet, sie sei aber auch selbst etwas aktiv geworden, weil es in der Situation angebracht war, erzählt Rutz. Richtig aktiv werden können Dückers und sie voraussichtlich erst im neuen Quartal, also ab dem 1. April – denn im aktuellen Dienstplan sei keine Schicht mehr frei, erklärt Kawaters.

Wie er erläutert, wurden die Notfallseelsorger im vergangenen Jahr zu insgesamt 13 Einsätzen nach Suizid und vier Einsätzen nach angedrohtem Suizid gerufen, das habe im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent zugenommen. „Wir führen das auf Corona zurück“, sagt er. Vor allem in der Gruppe der jungen Menschen, „die mit der Pandemie nicht so zurecht kommen“, habe die Zahl der Suizide und Suizidandrohungen zugenommen. Nach Angaben von Kawaters, der die Notfallseelsorge für die evangelische Kirche koordiniert, handelte es sich im vergangenen Jahr bei den Einsätzen der Notfallseelsorger im Kreis Viersen in insgesamt 75 Prozent der Fälle um Einsätze nach häuslichem Tod, etwa nach plötzlichem Kindstod. Hinzu kämen Einsätze unter anderem nach Bränden, schweren Verkehrsunfällen, bedrohlichen Situationen in Schulen und schweren sexuellen Straftaten. Wie die Notfallseelsorger im Einsatz agieren, ist dabei von Fall zu Fall unterschiedlich. „Wir richten uns danach, was der Mensch braucht“, sagt Kawaters. Manchmal hilft ein Gespräch oder ein Ritual, wie das Anzünden einer Kerze.Manchmal ist der Notfallseelsorger einfach da, hört zu, schweigt.

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