Leipzig ist ein Lesefest

Viersen · Ulrich Schmitter, Leiter der Stadtbücherei, erzählt über die Besonderheit der Buchmesse in Leipzig und ihre Bedeutung auch für seine Arbeit in der Stadt.

Leipzig ist ein Lesefest
Foto: Busch

Die Buchmesse in Leipzig wird von Insidern gerne auch als "Lesefest" bezeichnet. Trägt sie diese Bezeichnung zurecht?

Schmitter Ja, ganz ohne Zweifel. Ich besuche die Buchmesse dort jedes Jahr sehr gerne. In diesem Jahr war ich verhindert, was ich wirklich bedaure.

Was macht für Sie den besonderen Reiz in Leipzig aus?

Schmitter Das ist schwierig zu beschreiben. Wenn um 9 Uhr die Türen öffnen, dann ist es gleich proppevoll. Sie ist eine Publikumsmesse ohne jede Grenze. Da schwärmen Schulklassen und Kindergärten aus. Die Lebendigkeit ist bizarr. Anfangs war mir das, ehrlich gesagt, streckenweise auch etwas gewöhnungsbedürftig, weil die Betriebsamkeit kaum Ruhephasen zulässt und es ungemein laut zugeht.

Eine Buchmesse als Rummelplatz?

Schmitter (lacht) Nicht ganz, aber ein bisschen geht es wirklich so zu. Überall stehen Leute und diskutieren mit Verlegern und Autoren. Das ist ein großer Unterschied zur Frankfurter Buchmesse. Es geht weniger weihevoll zu, einfach weil sich Fachpublikum und ganz normale Besucher zu jeder Zeit mischen. Das ist aber auch sehr reizvoll.

Nehmen Sie für Ihre Arbeit in der Stadtbücherei Impulse mit?

Schmitter Ja, sehr viele sogar. Die Lesungen und vorgestellten Bücher üben eine ungemeine Faszination aus. Man ist ja nicht nur in den Messegebäuden unterwegs. Die ganze Stadt ist ein Ort der Bücher und von Lesungen. Überall sitzen Menschen in Gruppen und hören einem Autor zu - vom Beerdigungsinstitut über Schreinereien bis hin zum China-Restaurant oder in der Pizzeria. Bücher und Autoren sind an jedem Ort heimisch. Vor allem die abendlichen Lesungen sind voller Überraschungen, wen man beispielsweise irgendwo privat klingeln muss, über Treppen nach oben steigt und plötzlich in einem Raum steht, in dem dreißig oder mehr Leute auf Stühlen sitzen und zuhören. Die Lit.Cologne in Köln ist zweifellos ein großartiges Literaturfest. Aber Leipzig strahlt noch mehr aus, ist vielfach auch wesentlich direkter.

Das kann aber auch schwierig sein, wenn Buchhändler oder Bibliothekare ihren geschäftlichen Verpflichtungen nachgehen.

Schmitter In den Messehallen ist es manchmal wirklich sehr mühsam. Buchhändler, die mit Verlegern verhandeln und dabei mitten in einem Klassenausflug stehen, müssen ganz schön nervenstark sein. Es fällt manchmal schwer, die Konzentration zu finden und zu halten. Aber das ist eben auch das Flair der Leipziger Messe. Im Forum münden alle Räume, dort kulminiert die Messe. TV- und Radio-Sender sind dort, andere Medien ebenfalls. Der Raum ist fast wie eine Kathedrale, und wenn sich da mehr als 3000 Menschen unterhalten, dann ist es unglaublich laut.

Das alleine wird Sie aber wohl kaum reizen.

Schmitter Nein. In Leipzig bekommt man neben der Bestsellermaschinerie sehr viel kleinteiligere Dinge mit. Seit der Wende hat sich auf dem Gebiet der früheren DDR wieder eine Verlagslandschaft entwickelt. Es gibt ungemein viele kleine Verlage und tolle Autoren, denen ich in Frankfurt kaum begegnen kann. Sie sind auch da, gehen aber in dieser Masse einfach unter. Und weil ganz Leipzig Buchmesse ist - in Frankfurt beschränkt sich das allein auf das Messegelände -, gibt es immer wieder überraschende und wunderbare Begegnungen mit Büchern.

In Leipzig werden drei Preise vergeben: Belletristik, Sachbuch und Übersetzungen. Was interessiert Sie besonders? Haben Sie die Titel schon im Bestand oder werden sie erst erworben?

Schmitter Die nominierten Belletristik-Titel haben wir alle schon, wir warten nur auf die Entscheidung. Hier fragen Kunden dann stets sofort nach. Wir bauen dann auch gleich die Schauwand mit den Büchern auf. Bei den Sachbüchern nehmen wir ebenfalls vorab eine Auswahl vor - es hat keinen Sinn zu versuchen, die Bücher der Preisverleihung anschließend zu bestellen. Die muss man vorher ordern. Übersetzungen spielen eine eher untergeordnete Rolle. Aber die Leipziger Buchmesse schlägt sich auch in der Nettetaler Stadtbücherei angemessen nieder. Das erwarten unsere Kunden.

LUDGER PETERS

(RP)
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