Wohnen in Viersen Zuhause an der Hammer Schanze

Viersen · Sein ganzes Leben hat Frank Wolff in der kleinen Siedlung in Viersen verbracht. Doch wie lange er dort noch wird wohnen können, ist unklar: Die 1934 errichteten Nothäuser sind in einem schlechten Zustand.

Frank Wolff versucht, die Siedlung in Schuss zu halten. 17 Bewohner sind nach Angaben der Stadt Viersen heute noch dort gemeldet. Viele einstige Mieter sind gestorben, ihre Häuser stehen leer.

Frank Wolff versucht, die Siedlung in Schuss zu halten. 17 Bewohner sind nach Angaben der Stadt Viersen heute noch dort gemeldet. Viele einstige Mieter sind gestorben, ihre Häuser stehen leer.

Foto: Birgitta Ronge

Wer die Bachstraße in Viersen entlang fährt, ahnt nicht, dass es dort eine kleine Siedlung gibt, in der die Zeit stillgestanden ist. Viele kennen die Nothäuser, die nach dem Zweiten Weltkrieg 1949 errichtet wurden, um die Wohnungsnot zu lindern. Doch wer weiß schon, dass hinter den hohen Bäumen weitere kleine Häuser liegen, die noch älter sind als die an der Bachstraße? In einem dieser Häuser wohnt Frank Wolff. Der 52-Jährige hat sein ganzes Leben hier verbracht, an der Hammer Schanze. „Ich bin hier groß geworden“, sagt Wolff. „Sämtliche Kindheitserinnerungen sind hier, das gibt es nirgendwo anders. Jede Ecke erzählt eine Geschichte.“

Für Wolff ist die Hammer Schanze Zuhause. Doch wie lange er dort noch wird wohnen können, ist unklar. Die niedrigen Häuser sind in einem schlechten Zustand. Von manchen Wänden bröckelt der Putz, von Tür- und Fensterrahmen die Farbe. Längst sind nicht mehr alle Häuser bewohnt. „Die meisten Mieter sind im Laufe der Jahre gestorben“, sagt Wolff. Heute sind nach Angaben der Stadt noch 17 Bewohner an der Hammer Schanze gemeldet. Dazu gehört Wolffs Mutter Käthe. Die 80-Jährige stammt aus Lahnstein. Sie zog mit ihrem Mann, der an der Hammer Schanze aufwuchs, her, als Sohn Frank vier Monate alt war. Im großen Garten hinter dem kleinen Haus bauten die Wolffs Obst und Gemüse an. Man heizte mit Kohlebriketts oder Holz, hinterm Haus gab es ein Plumpsklo. Käthe Wolff heizt immer noch mit Kohle, doch zum Plumpsklo muss sie nicht mehr. Auch die Hammer Schanze ist inzwischen an den Kanal angeschlossen, in den Häusern gibt es Badezimmer. Dass die Gärten hinter den Häusern so groß geplant wurden, hatte einen Grund: 1933 konnten Städte für die Errichtung von Not- und Behelfswohnungen zinslose Darlehen bekommen, wovon auch die Stadt Viersen Gebrauch machte.

Die Vereinigte Dreistädte-Zeitung berichtete 1934 von der Errichtung von 16 Behelfswohnungen, die flexibel geplant waren: Die Wohnungen „wurden in vier Doppelhäusern unterbracht, und zwar in jedem Doppelhaus zwei Zweizimmerwohnungen und zwei Wohnungen mit drei Zimmern“. Die Anordnung sei „so gewählt, dass in späteren Jahren einmal je eine Zwei- und eine Dreizimmerwohnung zusammengelegt und mit ganz geringem Kostenaufwand zu einem Siedlerhaus mit Stallung für eine Familie umgeändert werden können“. Die großen Gärten sollten es den Mietern ermöglichen, „den Bedarf der im Haushalt benötigten Lebensmittel zum weitaus größten Teil selbst zu erzeugen, so dass gleichzeitig für die erwerbslosen Mieter ein nutzbringendes Betätigungsfeld geschaffen“ werde. Die Ärmel mussten die Mieter auch für den Bau der Häuser hochkrempeln: In Pflichtarbeit hätten sie an den Aufschließungsarbeiten mitgewirkt, heißt es in dem Bericht.

 Frank Wolff wuchs in der Siedlung auf – hier als Kleinkind mit seiner Mutter Käthe im Garten.

Frank Wolff wuchs in der Siedlung auf – hier als Kleinkind mit seiner Mutter Käthe im Garten.

Foto: Birgitta Ronge

Wie seine Vorfahren krempelt auch Frank Wolff heute die Ärmel hoch, wenn es um die Hammer Schanze geht. Den Garten hält er so gut er kann in Schuss, auf der Straße fegt er das Laub nicht nur vor der eigenen Tür. Doch weil er nicht weiß, wie es weitergeht mit der Siedlung, „halte ich es nur instand, ohne größere Projekte anzufangen“, sagt der 52-Jährige.

Die Unsicherheit begleitet Wolff seit Jahren. 2015 wurde bekannt, dass die Viersener Aktienbaugesellschaft (VAB), Eigentümerin der Siedlung, den Abriss der Häuser erwog. Wolff war fassungslos: „Ich fand es heftig, dass man über meinen Kopf hinweg eine Abbruchgenehmigung beantragt hatte.“ Doch der Verein für Heimatpflege schaltete sich ein. Vorsitzender Albert Pauly bat das Amt für Denkmalpflege im Landschaftsverband Rheinland (LVR) um Prüfung, ob die Häuser an der Hammer Schanze nicht ebenso unter Denkmalschutz gestellt werden könnten wie die Nothäuser an der Bachstraße. Nun werde an Abriss nicht mehr gedacht, sagt Pauly.

Allerdings wird derzeit darüber diskutiert, wie das Gelände künftig aussehen könnte. „Die Häuser an der Hammer Schanze befinden sich altersbedingt in einem relativ schlechten Erhaltungszustand“, teilt eine Sprecherin der Viersener Stadtverwaltung mit. „Wirtschaftlich verträgliche Investitionen in den alleinigen Erhalt der Gebäude sind derzeit schwierig abzubilden.“ Daher habe die Stadt eine Machbarkeitsstudie anfertigen lassen, die aktuell intern ausgewertet werde. Die Hammer Schanze ist laut Stadtverwaltung Baudenkmal und Bodendenkmal zugleich. Die LVR-Ämter für Denkmalpflege und Bodendenkmalpflege seien in alle bisherigen Überlegungen einbezogen worden und würden auch künftig am Entscheidungsprozess beteiligt.

Die Hammer Schanze stelle „ein bedeutendes Bodendenkmal dar“, sagt Martin Vollmer-König, Leiter der Abteilung Denkmalschutz beim LVR-Amt für Bodendenkmalpflege. Veränderungen seien nur erlaubt, „wenn das archäologische Erbe nicht nennenswert beeinträchtigt wird“. Durch die aktuelle archäologische Untersuchung wollen die Experten prüfen, „ob beziehungsweise unter welchen Bedingungen im Schutzbereich Bauvorhaben umgesetzt werden können.“ Im Boden konnten Archäologen jetzt bereits den ehemaligen Graben der einstigen Befestigung nachweisen. Weitere Untersuchungen sollen folgen.

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