Geschichte von Viersen „Bei der Neugliederung wurde viel geflunkert“

Viersen · Vor 50 Jahren verschwanden die Städte Dülken und Süchteln – die kommunale Neugliederung bewegt die Gemüter noch heute. Warum Viersen, Dülken und Süchteln nicht Dreistadt heißen, erklärt Franz-Josef Antwerpes, Vater der Neugründung.

 Die umstrittene Vereinigung der drei Städte war 1970 im Rosenmontagszug von Dülken Thema: So beispielsweise bei einem Wagen der Sportgemeinschaft Dülken, der betitelt war mit „Dreistadtzirkus“.

Die umstrittene Vereinigung der drei Städte war 1970 im Rosenmontagszug von Dülken Thema: So beispielsweise bei einem Wagen der Sportgemeinschaft Dülken, der betitelt war mit „Dreistadtzirkus“.

Foto: Ja/Knappe, Joerg (jkn)

Der langjährige SPD-Landtagsabgeordnete und spätere Kölner Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes gilt als „Vater der Neugliederung“ der Stadt Viersen vor 50 Jahren – als Dülken und Süchteln ihre Eigenständigkeit verloren. Im „Viersener Salon“ des Vereins für Heimatpflege plauderte Antwerpes mit Kunsthistoriker Alexander Grönert vor Publikum über die kommunale Neugliederung und erläuterte, wie er sie damals erlebte und mitgestaltete.

Die Vereinigung mit Viersen hatte die Einwohner bewegt und auch für Widerstände gesorgt. Vor allem die Dülkener und Süchtelner hinterfragten den Zusammenschluss. „Damals wurde immer gesagt, wir müssen uns den Süchtelnern und Dülkenern annähern, indem man Neu-Viersen Dreistadt nennt. Als es dann Viersen wurde, ist mein Herz weich geworden”, bekundete Antwerpes. „Nachträglich muss ich zugeben, dass 70 Prozent der Neugliederung gut gelungen sind, über den Rest sollten wir lieber schweigen.”

Grönert, Kurator der aktuellen Ausstellung des Heimatvereins zur Neugliederung, sagte: „Sie haben sich mit der Neugliederung auch nicht sonderlich viel Zeit gelassen. Es war eine schnelle politische Leistung, innerhalb von ein, zwei, Jahren die Kommunen zusammenzuschließen und auch neue Namen zu finden. Da kann man Fehler nicht vermeiden.“ – „Ja, das erste Programm war vielleicht eine schnelle, teilweise unvorbereitete Lösung. Ich hätte nachträglich keine Flüsse, Täler oder Bäche nach Städten benannt wie zum Beispiel Nettetal. Lobberich wäre sinnvoller gewesen. Dann hätten sich jedoch die Kaldenkirchener beschwert“, sagte Antwerpes.

 Sprachen im Viersener Salon über die kommunale Neugliederung vor 50 Jahren: Ausstellungskurator Alexander Grönert, Franz-Josef Antwerpes und Heimatverein-Vorsitzender Albert Pauly (von links).

Sprachen im Viersener Salon über die kommunale Neugliederung vor 50 Jahren: Ausstellungskurator Alexander Grönert, Franz-Josef Antwerpes und Heimatverein-Vorsitzender Albert Pauly (von links).

Foto: Ja/Knappe, Joerg (jkn)

„Können Sie uns denn sagen, warum es Viersen und nicht Dreistadt geworden ist?”, fragte Grönert. „Viersen war flächenmäßig mehr als die Hälfte von Neu-Viersen. Auch der Bürger lebte ganz nach dem Motto: ,Viersche soll Viersche bleiben.’ Diese Entscheidung hat auch eineinhalb Jahre gedauert. Heute bin ich froh drüber!“, sagte Antwerpes. Zunächst wurde der Name „Dreistadt“ von den Stadträten gemeinsam gewählt, jedoch wurde der gewählte Name vom damaligen NRW- Innenminister Willi Weyer mit folgender Bemerkung abgelehnt: „Mir gefällt der Name Dreistadt nicht. Er ist lieblos und leblos!“. Daraufhin entschied der zuständige Ausschuss des Landtages, dass die neue Stadt Viersen heißen soll.

Was sind nach Antwerpes’ Meinung die anderen 30 Prozent, die während der Neugliederung nicht so gut gelungen sind? Was sind die negativen Folgen des Zusammenschlusses? „Auf der Langen Straße in Dülken beispielsweise steht heutzutage jedes dritte Geschäft leer. Da sieht man auch die Schäden“, gab Antwerpes zu. „Es ist schade zu sehen, wie manche Randbereiche aussterben. Ein Ziel der kommunalen Neugliederung war es ja, leistungsfähige Städte zu schaffen. Ist diese Reform gescheitert?”, fragte Grönert. „Nein, dies liegt an der generellen Großstadtschätzung heutzutage. Die Menschen schätzen Großstädte wie Köln oder Düsseldorf. Auch Mönchengladbach oder Krefeld sind bei weitem nicht mehr so gut besucht und von Wichtigkeit wie damals“, erläuterte Antwerpes. Grönert stellte fest, dass etwas Interessantes mit dem Stadtbegriff passiert sei: Süchtelner fühlten sich noch immer als Süchtelner und Dülkener als Dülkener. „Haben Sie erwartet, dass die Dülkener sich irgendwann als Viersener fühlen?”, fragte Grönert. „Nein, das brauchen sie auch gar nicht. Die Mentalität der Dülkener, Süchtelner oder auch Boisheimer bleibt so, wie sie ist“, entgegnete Antwerpes. „Wenn die Leute so empfinden, sollen sie es auch. Früher haben sich die Menschen auch in Unter- und Oberrahser definiert. Das ist auch heute noch so und ganz normal!”.

Am Ende des Gespräches stellten die Zuhörer Fragen an Antwerpes. Ein Gast wollte wissen, ob in der Zeit der kommunalen Neugliederung von 1966 bis 1970 dem Volk viel vorgelogen worden sei. „Ja in der Zeit der Neugliederung ist viel geflunkert worden. Es gab aber auch dementsprechend viele Widerstände“, berichtete Antwerpes. Er beendete die Gesprächsrunde mit einem optimistischen Satz: „Ich hoffe, Sie verstehen die Neugliederung jetzt anders, als sie es zuvor geglaubt haben!“

Durch den Raum erschallte tosender Applaus und als Dank erhielt Antwerpes von dem Vorsitzenden des Heimatvereins ein regionales Geschenk aus Viersen. „Wir haben für Sie und Ihre Frau zwei Bücher über Viersen“, sagte Albert Pauly. „Und als Belohnung, wenn Sie diese durchgearbeitet haben, noch einen Viersener Mispellikör.“

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