Kreis Viersen Joseph und Maria im Zensus

Kreis Viersen · Kaiser Augustus ließ im Jahr 6 nach Christi Geburt das Volk in Judäa zählen. Joseph und Maria gingen damals von Galiläa nach Bethlehem in Judäa. Vermutlich hatten beide Besitztümer, die steuerlich erfasst werden mussten.

 Frauen entzünden in der Geburtskirche in Bethlehem Kerzen.

Frauen entzünden in der Geburtskirche in Bethlehem Kerzen.

Foto: ddp, ddp

Wenn der Staat im kommenden Jahr wieder einmal die Köpfe seiner Lieben zählt, hat das nichts mit reiner Selbstlosigkeit zu tun. Statistiken wollen angewandt werden — am liebsten auf der Einnahmeseite. Das sah schon der römische Kaiser Augustus so, als er seinen in Syrien agierenden Statthalter Quirinius anwies, dafür zu sorgen, dass "alle Welt geschätzt werde", wie Lukas im Neuen Testament berichtet.

Das war damals schon keineswegs ein einmaliges Ereignis. In seinen "res gestae" berichtet Augustus, dass er mehrfach Bürger zählen ließ. So erfuhr er, wie viele wehrfähige Männer es im Imperium Romanum gab. Gleichzeitig ließ er den Besitz registrieren.

Der moderne Bürger kennt das: Auch die Römer erhoben schon Grundsteuern. Und weil sie Informationen über die Untergebenen bekamen, nahmen sie auch noch Kopfsteuern. Daher wurde auch jeder neu eroberte Landstrich sofort statistisch erfasst. Dem militärischen Feldzug folgten sofort fiskalische Krieger.

Historisch einiges schief

Lukas übertreibt allerdings mit dem Hinweis, zur Zeit der Geburt Jesu sei "alle Welt" erfasst worden. Historisch stimmt ohnehin einiges nicht bei ihm. Es gab tatsächlich eine Volkszählung. Sie fand allerdings historisch belegbar im Jahr 6 n. Chr. statt. Dafür war der König Herodes bereits im Jahr 4 v. Chr. gestorben. Sein Reich wurde danach unter drei Söhnen aufgeteilt. Einer war Archelaos, der über Judäa regierte.

In Judäa lag Bethlehem. Augustus setzte Archelaos im Jahr 6. n. Chr. ab, und Judäa wurde Syrien zugeordnet. Statthalter Quirinius machte sofort Inventur, denn nun konnte er dort direkte Steuer für das römische Reich einziehen. Vorher gab es nur eine indirekte Herrschaft Roms über das Reich des Herodes und seiner Nachfolger.

Nun lebten Joseph und Maria aber im galiläischen Nazareth, über das der Herodes-Sohn Herodes Antipas regierte. Das Paar wäre gar nicht von den Veränderungen erfasst worden. Warum also wanderten beide vier bis fünf mühevolle Tage nach Bethlehem, um sich dort dem Zensus zu unterziehen? Lukas berichtet, Joseph sei gezwungen gewesen, in den Ort seines Stammvaters David zu gehen.

Diese über Jahrhunderte gehende Abstammungslinie — wer Ahnenforschung betreibt weiß, wie problematisch der Nachweis ist (ohne Taufregister und andere Quellen) hat Lukas aus theologischen Gründen wohl bewusst überhöht.

Studiert man die Sozialstrukturen jener Zeit, dann liegt die Vermutung nahe, dass Joseph ursprünglich tatsächlich aus Bethlehem kam. Er war aber als Bauhandwerker nach Nazareth gegangen. Dort gab es unter Herodes Antipas einen Bau-Boom, der bessere Lebensgrundlagen versprach. Historiker berichten, es habe dort keine Arbeitslosigkeit gegeben. Joseph hatte sozusagen einen Migrationshintergrund, der ihn zur Zensuswanderung zwang. FRAGE DES TAGES

(RP)
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