Die ersten Invictus Games in Deutschland waren knapp zwei Wochen in den Schlagzeilen. Sie waren live dabei. Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Interview Sandra Winkler „Prinz Harry war sichtlich betroffen“
Interview | Viersen · Die Viersener Polizistin Sandra Winkler (54) überlebte schwer verletzt, ihre 23-jährige Kollegin starb, als ein betrunkener Lkw-Fahrer ihren Streifenwagen auf der A61 rammte. Bei den Invictus Games trat Winkler fürs deutsche Team an — und auch Prinz Harry nahm Anteil, erzählt sie im Interview.
Winkler Die besondere Mischung aus sportlichem Teamgeist und Kameradschaftsgeist. Das hat sich bei den Spielen potenziert.
Sprechen Sie den Kameradschaftsgeist der Soldatinnen und Soldaten an?
Winkler Richtig. Ich hatte ja als Mitglied der Blaulicht-Fraktion zuvor nichts mit Militär zu tun. Erst durch meine Auswahl für die Games kam ich mit Soldaten in Berührung. Der ausgeprägte Kameradschaftsgeist der militärischen Teilnehmer war bereits im Trainingslager zu spüren. Bei den Wettkämpfen war dann schnell klar: Das geht über Ländergrenzen hinweg. Jeder hat jeden angefeuert.
Der Medaillenspiegel war also nur eine Nebensache?
Winkler Ich weiß, dass die meisten Athleten das so im Vorfeld kommuniziert hatten. Und zumindest bei uns im deutschen Team ging es auch wirklich hauptsächlich darum, sein Bestes zu geben. Ich gebe aber gerne zu, dass mein sportlicher Ehrgeiz, den ich noch aus meiner früheren Zeit als Athletin von Bayer Leverkusen kannte, mit Beginn der Wettkämpfte wieder erwachte.
Wie zufrieden sind Sie denn mit Ihrer sportlichen Ausbeute?
Winkler Ich habe alles durchgezogen – den 1.500-Meter-Lauf, Weitsprung, Indoor-Rudern und Diskus. Beim Diskuswurf habe ich sogar nur knapp eine Medaille verpasst, obwohl ich eigentlich gar nicht so der Kraft-Typ bin. Darum hatte ich bei dieser Disziplin auch wenig erwartet. Als ich dann aber die Ergebnisse der Konkurrenz sah, änderte sich das. Ich wusste, dass hier etwas zu holen ist. Es hätte ja auch fast geklappt.
Sind die anderen deutschen Teammitglieder auch so zufrieden?
Winkler Wir sind alle super glücklich, sowohl mit den Resultaten als auch mit den Games insgesamt.
Obwohl es Proteste gegen die Veranstaltung gab?
Winkler Davon haben wir Athleten nicht viel mitbekommen. Wir Teilnehmer wurden täglich mit einem Bus aus den Hotels abgeholt und nach den Wettkämpfen wieder dorthin gebracht. Man war also eine gute Woche lang ein Stück weit isoliert.
Trotzdem haben Sie doch sicher davon gehört, dass Demonstranten in Düsseldorf nicht nur vor Beginn der Spiele, sondern auch am Tag der Eröffnungsfeier dagegen protestierten. Die Gegner kritisierten das Sponsoring durch Rüstungsfirmen wie Boeing. Und es hieß, die Sportspiele seien die Normalisierung von Krieg. Was sagen Sie dazu?
Winkler Das ist totaler Unsinn! Bei den Spielen ging es ausschließlich um Wertschätzung und mehr Respekt für Menschen, die im Dienst für ihr Land viel riskiert haben. Diesen Respekt haben wir bekommen. Und das ist genau das, was wir verlangen. Auch die Soldaten wollen kein Mitleid, sondern dass die Gesellschaft ihnen Anerkennung zollt. Eigentlich sollte das selbstverständlich sein.
Während der sehr gut besuchten Games war dieser Respekt spürbar. Doch die Spiele sind jetzt vorbei. Dafür wird nun einmal mehr ein nationaler Veteranentag diskutiert. Er soll jedes Jahr am 12. November, dem Gründungstag der Bundeswehr, dafür sorgen, dass die Gesellschaft die Leistung von Veteranen nicht vergisst. War das bei den versehrten Soldaten, von denen einige im Einsatz körperlich schwer verletzt wurden, während andere seit Jahren unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, ein Thema?
Winkler Ich kann nicht für die Soldaten sprechen. Das Wichtigste für sie scheint aber zu sein, dass ihre Angehörigen nicht noch mehr unter den seelischen oder körperlichen Langzeitschäden leiden. Wenn Hilfen verwehrt werden oder ihre Beantragung mühsam ist, bedeutet das noch mehr Leid. So etwas darf nicht sein! Ein Veteranentag ist richtig und sendet ein wichtiges Zeichen in die Gesellschaft. Aber noch wichtiger ist es, die Familienangehörigen von versehrten Männern und Frauen zu unterstützen.
Der Gründer der Invictus Games, Prinz Harry, erkannte schon Jahren, dass versehrte Soldaten nicht genug Aufmerksamkeit erhalten. Dass ihm ihr Schicksal offenkundig am Herzen liegt, zeigte er auch, indem er an jedem einzelnen Wettkampftag vor Ort war. Hatten Sie die Gelegenheit, ihm die Hand zu schütteln?
Winkler Leider nein. Ich hatte aber die Gelegenheit, mich mit unserem Bundespräsidenten Steinmeier, der während der Abschlussfeier eine Rede hielt, persönlich zu unterhalten.
Der Bundespräsident hat Sie in seiner Rede sogar zitiert. Sie hatten ihm gesagt, dass keiner vor Ihnen einen Kniefall machen müsse. Aber Sie hätten im Einsatz für Ihr Land fast Ihr Leben verloren und manchmal das Gefühl, dass dies vergessen wird. Diese Worte von Ihnen griff er als Mahnung auf. Hat Sie das beeindruckt?
Winkler Es war wichtig, dass er das getan hat. Und natürlich habe ich mich auch geehrt gefühlt, so wie mein Mann sich geehrt fühlte, als Prinz Harry ihn ansprach.
Wie kam es dazu?
Winkler Mein Mann ist ein pensionierter Streifenpolizist und war in seiner früheren Uniform vor Ort. Er trug gut sichtbar ein Trauerflor mit einem Foto meiner 23-jährigen Kollegin, die während unseres Dienstunfalls vor sechs Jahren gestorben war. Sie hatte das schreckliche Schicksal, den Zusammenstoß mit dem betrunkenen Lkw-Fahrer, den wir aufhalten sollten und der uns aufgefahren war, nicht zu überleben. Prinz Harry sah dieses Foto, kam auf meinen Mann zu und fragte nach, was das Foto zu bedeuten habe. Die Erklärung meines Mannes machte ihn sichtbar betroffen. Der Duke of Sussex ist jedoch nicht nur empathisch und sympathisch. Ich fand ihn auch als Redner beeindruckend. Er wählte frei seine eigenen Worte. Das machte den Unterschied.
Sie hatten vor den Games gesagt, dass Sie wieder antreten würden, wenn die Spiele ein schönes Erlebnis werden würden. Gilt das noch?
Winkler Ich würde auf jeden Fall wieder antreten, falls die Bundeswehr wieder auf mich zukommen würde. Im Augenblick bin ich aber noch dabei, das Erlebte positiv zu verarbeiten. Es gab da so viele Momente mit Gänsehaut-Effekt und spontanen Tränen in den Augen – das wirkt alles immer noch nach. Und eines kann ich klar sagen: Die Impressionen von den Invictus Games werde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen.