Viersen Inklusion fängt in den Köpfen an
Viersen · Was ist Inklusion, und wie soll sie umgesetzt werden? In der Viersener Begegnungsstätte für Rollstuhlfahrer trafen sich die Bundestagskandidaten zur Podiumsdiskussion. Fazit: Der Gesetzgeber kann nur flankierende Hilfe leisten.
Besser hätten sich die rund 35 Besucher und Politiker nicht auf ein Thema einstimmen können. Die Podiumsdiskussion des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes im Rollstuhlfahrerzentrum mit den Bundestagskandidaten begann mit einem Film über gelungene Inklusionsprojekte in einigen Städten des Landes. Anhand von mehreren Beispielen zeigte der halbstündige Film, wie einfach Inklusion gelebt werden kann.
Auf dieser Basis – Inklusion in der Schule spielte nur eine untergeordnete Rolle – diskutierten die fünf Kandidaten nicht nur untereinander, sondern auch mit den Besuchern, moderiert von RP-Redakteur Ludger Peters. Uwe Schummer (CDU) hakte mit Blick auf die Filmbeispiele ein bei einem bedeutsamen Punkt: "Inklusion bedeutet die Überwindung von Angst. Menschen mit und ohne Behinderung haben bislang nicht gelernt, miteinander zu leben. Es geht nicht darum, ein Teilhabeprinzip nur per Gesetzesform durchzusetzen. Wir alle sind gefordert."
Britta Pietsch (Die Linke) betonte, Inklusion sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Erst, wenn Menschen Fremdartigkeit anderer nicht mehr wahrnähmen, sei man am Ziel. "Inklusion fängt im Kopf eines jeden Einzelnen an", schloss sich Andreas Bist (FDP) an. Allerdings sehe er in der Umsetzung Begrenzungen durch den finanziellen Rahmen. Udo Schiefner (SPD) forderte dazu auf, das gewohnte Schachteldenken zu überwinden. "Inklusion ist eine Querschnittsaufgabe, die nicht vor einzelnen Fachbereichen haltmacht", stellte er fest. Man müsse die Menschen mitnehmen und ihnen zeigen, dass anders sein normal sei, kommentierte Renè Heesen (Grüne) die Inklusion.
Doch der Weg dorthin blieb letztlich zum Großteil im Dunkeln. Gesetze könnten lediglich Rahmenbedingungen schaffen, mit Geld könne einiges verbessert werden. Aber Inklusion fordere jeden einzelnen Menschen. "Wir müssen nicht alles neu erfinden. Wir können uns zum Beispiel in den Niederlanden einiges abschauen", riet Bist. Heesen wies ebenfalls daraufhin, dass andere Länder viel weiter seien.
Das Thema bewegte die Besucher, die sich mit zahlreichen Statements und Anregungen einbrachten. Handfest forderten sie Konsequenzen in der gesamten Planung von öffentlichem Raum – und die Kontrolle der Ausführung. "Die Planer müssen aus dem Bereich der Leute kommen, die damit zu tun haben. Das muss das Ziel der Politik sein", bemerkte Heinz-Jürgen Antwerpes vom Freundeskreis Rollstuhlfahrer. Schiefner warnte davor, Konzepte am Menschen vorbei zu entwickeln. Es sei richtig, ihre Kompetenz zu nutzen.
Schiefner will die Eingliederungshilfe durch ein Bundesleistungsgesetz ersetzen. Es sollte unabhängig vom Einkommen jedem Menschen geben, was er braucht, um am Leben teilhaben zu können. Schummer setzt darauf zu prüfen, ob die vorhandenen Instrumentarien den Anforderungen von Inklusion entsprechen. Er brachte ein Frühwarnsystem in die Diskussion ein, mit dem beispielsweise Planungsfehler verhindert werden sollten.
Unterschiedlich fielen Antworten auf die Frage aus, ob mittelfristig alle Förder- und Sondereinrichtungen zugunsten von inklusiven Konstrukten aufgegeben werden müssten. Zuhörer warnten davor, die Wahlmöglichkeiten von behinderten Menschen oder ihrer Angehörigen auszuhebeln. Dass alle Institutionen sich durchgreifenden Veränderungen stellen müssten, war einhellige Meinung am Podium.