Serie Mein Jahr In China "Ich weiß jetzt, was echte Probleme sind"

Viersen · Mehr als ein Jahr hat Leon Zehner aus Amern in China verbracht. Er hat chinesische Kinder am Himalaya unterrichtet und mit dem Fahrrad das Land erkundet. Inzwischen ist er wieder zu Hause. In seinem letzten Bericht zieht er Bilanz.

 Leon Zehner ( hier vorn an der Tafel) verbrachte ein Jahr in China und unterrichtete dort Kinder.

Leon Zehner ( hier vorn an der Tafel) verbrachte ein Jahr in China und unterrichtete dort Kinder.

Foto: Zehner

schwalmtal Ich beobachte zwei Männer, die sich in der Nähe unseres Hauses wild gestikulierend um einen Parkplatz streiten. Ich frage mich, welche Auswirkungen das Problem auf die Existenz der beiden Männer hat. Wohl keine. Willkommen zurück in Deutschland, denke ich. 441 Tage war ich in China. Eine lange Zeit, die ich in einer fernen Welt erleben durfte.

Seit einem Monat bin ich wieder in Deutschland und habe mich schnell wieder eingelebt. Der befürchtete Kulturschock bei der Wiederkehr ist ausgeblieben. Das Fernweh aber ist geblieben. Ich erinnere mich wehmütig an die einprägenden Erlebnisse. Zum Beispiel an das Weihnachtsfest 2014, das ich mit anderen Freiwilligen in der malerischen Stadt Dali verbracht habe. Dort ist es am Heiligabend Brauch, auf die Straßen zu gehen und die Stadt mit schneeartigem Schaum aus Sprühdosen in ein Winterparadies zu verwandeln. Oder an die Wochenendwanderungen, die ich in den Ausläufern des Himalaya-Gebirges unternommen habe. Auch an die Summerschool, der von uns für die Slumkids organisierten Schule, denke ich oft.

Nach über einem Jahr kann ich sagen, dass China mich überrascht hat. Das vielfältige Essen, die gastfreundlichen Menschen und die atemberaubende Landschaft habe ich in dem Ausmaß nicht erwartet. Es gibt viele Eigenschaften, die ich mir bei Chinesen abschauen konnte. Dazu gehören die Offenheit gegenüber Fremden und die innere Ruhe bei scheinbar komplizierten Situationen.

Durch meine Tätigkeit als Lehrer bin ich selbstsicherer geworden. Als Gruppenleiter habe ich meine Führungsqualitäten erprobt. Ich habe gelernt, dass meine Lebensqualität nicht von Orten abhängig ist, sondern davon, was ich daraus mache. Die ärmsten Bauern in den Bergdörfern haben mir das anschaulich vorgelebt. Allgemein eignet sich der Abstand von Zuhause und das Leben in einer Gesellschaft, die andere Werte lebt, um zu reflektieren, was man eigentlich selber will. Ist es denn schlimm beim Essen zu schmatzen, oder ist es eine tiefverankerte, mir anerzogene Regel? Mich stört es jedenfalls nicht mehr, wenn jemand während des Essens Geräusche macht. Das ist eine von vielen Ansichten, die ich überdenken konnte.

Nichtsdestotrotz bin ich froh, wieder Zuhause zu sein. Die Erfahrung, dass sich Deutsche über scheinbare Lappalien aufregen, habe ich nach meiner Wiederkehr oft gemacht. Ich sehe das nicht negativ. Doch nach meinem Auslandsjahr denke ich, dass man nicht vergessen sollte, dass es ein Luxus ist, seine Energie für verhältnismäßig nichtige Probleme aufzuwenden.

Auf mich kommen nun neue Erfahrung zu: Ab dem Sommersemester möchte ich in Mainz Psychologie studieren. Bis dahin werde ich in Dortmund ein Praktikum in einer Einrichtung für traumatisierte Kinder machen. Ich habe China in den vergangenen 14 Monaten sehr lieben gelernt und möchte unbedingt wieder zurück. Zurzeit träume ich davon, ein Semester in Shanghai zu studieren.

All die Erfahrungen habe ich der Tatsache zu verdanken, dass ich in einem wohlhabenden Land aufgewachsen bin, das jedes Jahr junge Erwachsene finanziell unterstützt, die es wagen, in ein Entwicklungsland zu gehen. Über die Webseite "www.weltwaerts.de" findet man Organisationen, die unterschiedliche Projekte verfolgen. Ich beispielsweise war mit "Baumhaus" unterwegs. Dafür muss man zwischen 18 und 28 Jahre alt sein. Die Abschlussnote an der Schule ist nicht das ausschlaggebende Kriterium. Auch das Abitur ist nicht unbedingt erforderlich, wenn man einen Schulabschluss und eine abgeschlossene Berufsausbildung hat. Die Bewerbungsfristen enden meistens im Dezember. Danach folgen Auswahlgespräche mit Verantwortlichen der jeweiligen Organisation. Kurz vor der Abreise findet ein Vorbereitungsseminar statt, bei dem man für das Einsatzland und die dortigen Tätigkeiten spezifisch vorbereitet wird. Und dann kann das Abenteuer losgehen.

(RP)
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