Auf der A61 getötete Polizistin „Ich habe gedacht: Das läuft schief“

Mönchengladbach/Viersen · Vor Gericht schildert ein niederländischer Lkw-Fahrer, was vor einem tödlichen Unfall auf der Autobahn 61 bei Viersen passierte. Dort soll ein 49-Jähriger im Dezember mit seinem Sattelschlepper ein Polizeiauto gerammt haben

 Vor Gericht steht seit Heute, Valerie Y. aus der Ukraine wegen Gefährdung im Strassenverkehr mit fahrlässiger Tötung und Körperverletzung. Sein Anwalt ist Herr Meister.

Vor Gericht steht seit Heute, Valerie Y. aus der Ukraine wegen Gefährdung im Strassenverkehr mit fahrlässiger Tötung und Körperverletzung. Sein Anwalt ist Herr Meister.

Foto: Reichartz,Hans-Peter (hpr)

Als der 34-jährige Feuerwehrmann am Abend des 27. Dezember 2017 auf der Autobahn 61 bei Viersen die Fahrertür des Lkw öffnete, guckte ihn der Fahrer entgeistert an. Der damals 48-jährige hatte mit seinem Lastwagen ein Polizeiauto gerammt und war 50 bis 100 Meter hinter dem Wagen zum Stehen gekommen. Aus dem Motorraum stieg Qualm auf. Der Fahrer klammerte sich ans Lenkrad, ein Fuß stand auf dem Gaspedal, der Motor heulte. „Ich hatte den Eindruck, er dachte, er fährt noch und ich hätte bei 80 Stundenkilometern die Tür aufgemacht“, sagt der Feuerwehrmann am Freitag bei seiner Zeugenbefragung vor dem Mönchengladbacher Landgericht. Er habe den Fahrer anstupsen müssen, damit der ihn überhaupt wahrnimmt – und dann seinen Fuß vom Gaspedal gezogen.

Am zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den Lkw-Fahrer aus der Ukraine geht es  um den Unfallhergang – und in welchem Zustand der 49-Jährige war. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, betrunken auf der A61 mit seinem Sattelschlepper einen auf dem Standstreifen abgestellten Streifenwagen der Kreispolizei Viersen gerammt zu haben. Laut Polizeiangaben hatte er 2,6 Promille im Blut. Er sagte später aus, sich nicht an das Geschehen erinnern zu können. Bei dem Unfall wurde eine 23 Jahre alte Polizistin getötet, zwei weitere Kollegen – eine 48-jährige Polizistin und ein 22 Jahre alter Polizeianwärter – wurden schwer verletzt.

Am zweiten Prozesstag kommt zunächst ein 40-jähriger Niederländer zu Wort. Der Mann war an jenem Abend mit seinem Lkw und seiner achtjährigen Tochter auf dem Beifahrersitz auf dem Weg nach Österreich, als ihm der ukrainische Lastwagen auffiel. Der sei Schlangenlinien gefahren, zunächst so, „wie wenn jemand mit dem Handy spielt“, sagt der Mann. Er sei dahinter geblieben, habe sich zurückfallen lassen und die Polizei gerufen. „Es war dunkel und regnerisch, das war mir zu gefährlich.“ Dann seien die Schwankungen stärker geworden. „Vor der Ausfahrt Viersen habe ich gedacht: Das läuft schief.“ Fast frontal sei der Lkw des Ukrainers von hinten auf der Polizeiauto geprallt. Der Niederländer habe den Verkehr neben und hinter sich mit Lichtzeichen und Gesten zum Stehen gebracht, seine Tochter beruhigt und sei losgerannt.

Unter den ersten Einsatzkräften an der Unfallstelle war eine 29Jahre alte Polizistin der Dienststelle Viersen. Die 48-jährige Fahrerin des Streifenwagens war bereits aus dem Auto befreit worden und lag am Fahrbahnrand, als sie eintraf, berichtet die junge Frau. Sie und ihre Kollegen hätten es geschafft, den Gurt der 23-jährigen Verletzten zu lösen und sie heraus zu heben. Während sie die Wiederbelebungsversuche schildert, blickt der Freund der Getöteten im Zuschauerraum zu Boden. Seine Arme sind vor der Brust verschränkt. Ihre Mutter, die mit ihrem Mann und den beiden verletzten Polizisten als Nebenklägerin auftritt, presst sich die Hände ins Gesicht. 

Mit einem Kollegen und dem Feuerwehrmann habe die 29-Jährige den Lkw-Fahrer mehrfach lautstark aufgefordert, auszusteigen. „Dem ist er nicht nachgekommen“, sagt sie. Auch als sie an ihm gezogen hätten, habe er das Lenkrad nicht losgelassen. Ein Beamter der Autobahnpolizei schildert,  er habe dem Mann einen Schlag ins Gesicht gegeben, um seine Starre zu lösen. „Das ist ein nicht unübliches Vorgehen“, erklärt er auf Nachfrage des Verteidigers.

Für dessen Mandaten sind all diese Fragen wichtig, denn es geht auch darum, ob er regelmäßig Alkohol konsumiert. Laut Richter zeige ein Gutachten bei den Leberwerten Auffälligkeiten, „die in Richtung einer gewissen Alkoholgewöhnung“ wiesen.

Im Sattelschlepper des 49-Jährigen hatten Ermittler neben zwei leeren Bierdosen auch einen Drei-Liter-Schlauch Wodka gefunden, der halb geleert war. Der Angeklagte erklärte bei seiner Befragung am Montag, er habe stark abgenommen und deshalb eine Fettleber.

Die Einsatzkräfte berichten von einer deutlichen Alkoholfahne, aber dass der Mann noch gut alleine habe laufen können. „Er zeigte nur leichte Ausfallerscheinungen, man musste ihn ein bisschen stützen“, sagt ein Kempener Bundespolizist. „Seine Sprache war relativ klar, und für den Alkoholwert war er noch gut beisammen.“ In einem Brief an den Lkw-Fahrer, der seit dem Unfall in Untersuchungshaft sitzt, schreibt seine Lebensgefährtin, er solle nichts sagen, was ihn belastet, zum Beispiel, dass es nicht das erste Mal war. Ob sie sich damit auf den Alkohol bezieht oder darauf, dass er einen Unfall verursacht hat, bleibt unklar. „Er kann nicht erklären, was sie damit gemeint hat“, ließ der 49-Jährige über seine Dolmetscherin mitteilen.

Widersprüchliche Angaben macht ein Ehepaar, das mit seinem Auto hinter dem Lkw fuhr. Der 66-Jährige berichtet, der Lkw-Fahrer sei bereits ein paar Hundert Meter auf dem Standstreifen gefahren, als sein Sattelschlepper gegen das Polizeiauto stieß. Seine Frau (65) dagegen sagt: „Mit einem Mal schoss der nach rechts rüber.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort