Viersen Hilfeschrei der Pflegedienste

Viersen · Die Pflegedienste sagen: Sie erhalten so wenig Geld von den Kassen, dass sie kaum Zeit für ihre Patienten haben und ihr Personal überlastet ist. Die Versorgung sei unter diesen Bedingungen menschenunwürdig.

Elternpflege - So werden Sie unterstützt
Infos

Elternpflege - So werden Sie unterstützt

Infos
Foto: AP, AP

Eine Viertelstunde hat der Mitarbeiter eines Pflegedienstes im Schnitt für einen Patienten Zeit. Innerhalb dieser 15 Minuten muss er zum Kunden fahren, dessen Wunden versorgen, Spritzen setzen oder anders helfen, weiterfahren und alles dokumentieren, was er geleistet hat. Die Zeitspanne sei viel zu kurz, kritisieren nun mehrere Wohlfahrtsverbände aus dem Kreis Viersen. Mit der Kampagne "Hilfe! Mehr Zeit für Pflege!" machen sie darauf aufmerksam, dass die Pflege unter diesen Umständen menschenunwürdig sei. Den Grund für die Misere sehen sie in der zu geringen Bezahlung durch die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen.

Jeder Pflegedienst erhält Pauschalen für das, was er erledigen soll. Um eine offene Wunde am Unterschenkel zu versorgen, bekommt er zum Beispiel 12,26 Euro. Ein Mitarbeiter braucht dafür zwischen 20 und 30 Minuten. Dazu benötigt er neben der Zeit für Fahrt und Dokumentation auch Zeit, um beispielsweise Kompressionsverbände anzulegen, den Blutzucker zu messen oder Insulin zu spritzen. "Diese Leistungen müssen erbracht werden und werden nicht zusätzlich vergütet", sagt Peter Babinetz, Geschäftsführer des Caritasverbands Kempen-Viersen. Die Kassen zahlen immer nur für die höchste Leistungsgruppe, also die schwerwiegendste Erkrankung — und nicht für alles, was gemacht werden muss.

Zusätzlich zum Umgang mit Pauschalen müssen die Dienste mit steigenden Kosten fertig werden. Allein die Personalkosten stiegen in den vergangenen zehn Jahren um etwa 20 Prozent. Sie machen vier Fünftel der Ausgaben aus. "Die Krankenkassen haben diese Steigerungen nie refinanziert", sagt Babinetz. Seit 2007 sind die Verhandlungen der Pflegedienst-Träger mit den Kassen gescheitert. Nun läuft eine Klage vor dem Düsseldorfer Sozialgericht.

Fehlt das Geld, fehlt auch die Zeit. Gerade aus menschlicher Sicht sei das problematisch, sagen viele Pflegedienstleiter. Häufig lebten die Patienten allein und isoliert. "Die Mitarbeiter der Pflegedienste sind oft der einzige Kontakt nach außen", sagt Beate Caelers, Bereichsleiterin Alter und Pflege bei der Caritas. Doch oft sei weder Zeit für Unterhaltungen noch für kleine Hilfen außer der Reihe.

Diese Arbeitsbedingungen belasten das Personal. Ulrike Hagel-Leder hat vor 20 Jahren begonnen, bei einem ambulanten Pflegedienst zu arbeiten. Damals habe sie noch Zeit für Gespräche gehabt. "Ich hatte eine Beziehung zu all meinen Leutchen", sagt sie. Als sie immer schneller von Patient zu Patient eilen musste, stieg sie in die Pflegedienstleitung ein — sie wollte in einer verantwortlichen Position etwas ändern. Doch das sei nicht möglich. Nun tröstet sie in ihrem Büro oft Pflegekräfte, die erschöpft von ihren Runden zurückkämen. Viele würden krank oder wechselten den Beruf. In der Folge fehlt den Pflegediensten Personal. "Was können wir schon bieten? Die Mitarbeiter arbeiten alleine, mit einer hohen körperlichen Anstrengung und treffen enttäuschte Menschen vor Ort", sagt Hagel-Leder.

Dabei müssen die Dienste immer mehr Patienten versorgen. Allein Caritasverband, DRK und Arbeiterwohlfahrt im Kreis haben 2012 etwa 4000 Menschen in ihrer häuslichen Umgebung betreut. Je älter die Bevölkerung ist, desto größer wird der Pflegebedarf. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird bis 2025 um etwa 30 Prozent steigen.

Schon jetzt müssen Pflegedienste manchmal Patienten abweisen, weil ihnen Personal fehlt. "Das kann dazu führen, dass man Patienten selektiert", sagt Babinetz. In Zukunft, fürchtet er, würden möglicherweise nur noch die Menschen versorgt, bei denen es sich lohnt.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort