Heimatverein Waldniel: Marktführung Marktführung mit historischem Krimi

Der Heimatverein Waldniel bietet jährlich seine beliebten Rundgänge mit geschichtlichem Hintergrund an. Karl-Heinz Schroers beleuchtete diesmal den Waldnieler Marktplatz und deckte sogar einen Mordfall auf.

 Das alte Rathaus ist 1726 gebaut und um 1930 abgerissen worden.

Das alte Rathaus ist 1726 gebaut und um 1930 abgerissen worden.

Foto: akü

War es Mord? Eine Hinrichtung? Oder lediglich ein bedauerlicher Unfall, der an jenem 19. April 1795 den Waldnieler Zimmermann Martin Mols das Leben kostete? Heimatforscher Karl-Heinz Schroers hat recherchiert und ist im Sterberegister der Pfarre St. Michael auf folgende Notiz gestoßen: „Martin Mols … bei einem Volksaufstand von den französischen Reitern auf dem Markt ... durch eine Kugel tödlich verwundet ...“

Der 71-Jährige berichtet bei einer Führung, wie es sich wohl zugetragen hat. Knapp 50 Teilnehmer kleben anderthalb Stunden an seinen Lippen. Trotz Bundesligafinale nehmen an dieser zweiten Führung des Heimatvereins Waldniel unter Leitung von Schroers am Samstag doppelt so viele Interessierte teil wie bei der Premiere vor einem Jahr, als der Schwalmtaldom im Fokus stand.

„Man muss wissen, dass gerade die Jahre Ende des 18. Jahrhunderts für die Bevölkerung die größten Beschwernisse bereit hielten. Not, Hunger und Elend herrschten in einem nicht gekannten Ausmaß“, erzählt Schroers. Vor diesem Hintergrund könne man sich leicht vorstellen, dass auch die ansonsten friedliche Waldnieler Bevölkerung gegen die französischen Besatzer aufmuckte. „Und bei dem Versuch der Besatzer, die Volksmenge aufzulösen, wird dann wohl der todbringende Schuss gefallen sein“, bringt Schroers Licht in die Causa Mols.

Für die Waldnieler sind derartige Geschichten an diesem Samstag spannender als die Frage, ob die Fohlen die Champions-League schaffen oder die Bayern wieder Meister werden. Die Führung beleuchtet die bewegte Geschichte einer der markantesten Marktplätze in der Region. So zitiert Schroers aus einem Schreiben des Landeskonservators vom 22. Mai 1964: „Die historisch gewachsene Situation des Waldnieler Marktplatzes stellt einen der schönsten Marktplätze in alten Ortskernen am Niederrhein dar.“

Hermann-Josef Crynen hat seine Enkel Leni (10) und Leo (11) mitgenommen. „Zur Belohnung gibt’s hinterher ein Eis“, sagt der 76-Jährige. Doch die Kinder haben keine Eile. Sie hören gefesselt den Geschichten von Karl-Heinz Schroers zu. Am Marktbrunnen plätschern sie mit ihren Turnschuhen im seichten Wasser, während der Heimatforscher erzählt, dass die Waldnieler mit der Skulptur der Wäscherin lange über Kreuz lagen. „Die Figur der arbeitenden Frau am Waschplatz symbolisiert die tüchtigen Waldnielerinnen, die früher mit ihrem Wäschekorb vor dem Gladbacher Tor über den Bleichwall zum Waschplatz am Kranenbach zogen“, berichtet Schroers. Das gefällt Leni und Leo. Anders als vielen Bürgern, die sich etwas Hochtrabenderes vorgestellt hatten und acht Jahre brauchten, bis der Brunnen am 28. August 1993 schließlich eingeweiht werden durfte.

Von Feuersbrünsten, Fliegerbomben, Überflutungen, Kirchenstreitigkeiten, geselligem Markttreiben, Glockenguss vor dem Michaels-Portal, Gebeinhäusern, Brauereien und Straßenbahnverkehr plaudert Karl-Heinz Schroers, fast ohne auf sein Manuskript zu schauen. Teilweise sind die Zuhörer verblüfft. Beispielsweise darüber, dass im Haus Markt 13 bereits seit 1740 eine Apotheke beherbergt war. „Belegt ist, dass es 1764 weder in Mönchengladbach noch im gesamten Kreis Viersen eine solche Einrichtung gab.“

Der heimatkundliche Spaziergang ist kein Widerkäuen von angestaubtem Geschichtswissen, sondern augenzwinkernd und lebhaft. Da der Marktplatz ursprünglich eine ungepflasterte Sandfläche darstellte, die bei Regenwetter wegen der vielen Pfützen unpassierbar war, bot sich ein idealer Spielplatz für die Kinder. „Und gerade rund um das alte Rathaus wurden immer wieder mit den Schuhabsätzen Kuhlen gebohrt, die zum Murmeln- oder Knickerspielen gebraucht wurden“, sagt Schroers. Leo und Leni spitzen die Ohren, als Schroers von „wahren Sturzbächen“ bei starkem Regen auf der Westseite des Marktes berichtet. Das rührte von 1,48 Meter Höhenunterschied zwischen Apotheke und Haus Gorissen.

Apropos Haus Gorissen: Das heute leerstehende Gebäude am Markt 22 neben dem Rathaus hat es Schroers und dem Heimatverein besonders angetan. „Es ist 1726 vom damaligen Bürgermeister Johannes Peillers errichtet worden“, sagt Schroers und zeigt auf die Inschriftentafel über der Tür. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts ist in diesem Gebäude-Ensemble die Kaufmannsfamilie Kirschkamp ihren Geschäften nachgegangen. Aus dieser Familie sind zwei Bürgermeister hervorgegangen.

 Leni und Leo mit ihrem Großvater Hermann-Josef Crynen am Haus Gorissen.

Leni und Leo mit ihrem Großvater Hermann-Josef Crynen am Haus Gorissen.

Foto: akü
 Eine historische Ansicht von Waldniel innerhalb der Wallanlagen.

Eine historische Ansicht von Waldniel innerhalb der Wallanlagen.

Foto: akü

„Es ist uns ein Anliegen, dass dieses prägende Haus an unserem Marktplatz einer sinnvollen Nutzung zugeführt wird“, sagt Heimatverein-Vorsitzender Klaus Müller, der Karl-Heinz Schroers bei der Führung assistiert, indem er Blätter mit historischen Ansichten kursieren lässt. Doch bis man in der Gemeinde so weit ist, dürfte der Heimatverein weitere Führungen durch den Ortskern gehalten haben. Müller, Schroers und Co. überlegen bereits, was sie den Waldnielern 2020 zeigen wollen. Dann sind auch Leni und Leo sicher wieder dabei.

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