Haushaltsrede Grüne im Rat der Stadt Viersen zum Haushalt 2023

Viersen · Lesen Sie hier im Wortlaut die Haushaltsrede des Vorsitzenden der Viersener Fraktion Grüne im Rat der Stadt Viersen, Norbert Dohmen, zum jetzt beschlossenen Haushaltsplan 2023.

 Norbert Dohmen ist Vorsitzender der Fraktion Grüne im Rat der Stadt Viersen.

Norbert Dohmen ist Vorsitzender der Fraktion Grüne im Rat der Stadt Viersen.

Foto: Grüne

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, werte Ratskolleginnen und Kollegen, liebe Viersener und Viersenerinnen.

„Die Welt ist aus den Fugen geraten“ - so habe ich meine Rede im vergangenen Jahr begonnen und so ist es auch heute noch. Vor zwei Wochen ging die Meldung durch die Presse, dass alleine Deutschland bis zum Jahr 2050 ein Schaden von 900 Milliarden Euro durch den Klimawandel droht. Das sind zehntausend Euro pro Mann, pro Frau und pro Kind. Auf die Bevölkerung Viersens umgerechnet ist mit einem Schaden von 900 Millionen zu rechnen. In der Ukraine wütet nun schon ein Jahr ein grausamer Krieg mit hunderttausenden Toten, millionen Flüchtlingen, unendlichem Leid und ein Ende ist nicht absehbar. Wir haben nur finanzielle Folgen zu tragen, aber mit diesen müssen wir uns heute beschäftigen.

Der Kämmerer hat einen Haushaltsentwurf eingebracht mit einem Defizit von 7,7 Mio €, inzwischen ist es auf 8,3 Mio angewachsen.

Das ist aber noch nicht die ganze Wahrheit: tatsächlich haben wir ein Minus von 12 ½ Millionen. Durch die Kosten der Corona-Pandemie drohte vielen Kommunen die Haushalts-Sicherung. Die Aufwendungen für ukrainische Flüchtlinge und die explodierenden Energiepreise haben das Problem noch verschärft.

Das Land hat sich deswegen einen Bilanz-Trick ausgedacht, um die Defizite zu verstecken: Die Kosten werden als „außerordentlicher Ertrag“ herausgerechnet ...

… und statt dessen ein nicht vorhandenes Vermögen mit dem Namen „Bilanzhilfe“ ausgewiesen. 2026 muss der Rat dann entscheiden, ob der Betrag aus dem Eigenkapital entnommen oder 50 Jahre lang abgeschrieben werden soll – in jedem Fall bleibt die Kommune auf den Kosten sitzen. Bei uns werden sich so voraussichtlich 28,2 Mio „Sondervermögen“ anhäufen.Erfundenes Vermögen in der Bilanz – mich erinnert es stark an das imaginäre Vermögen bei Wirecard und bei jeder privaten Firma wäre dies ein Fall für die Staatsanwaltschaft; uns zwingt aber das Land dazu, meine Damen und Herren.

Wofür geben wir das Geld aus?Der größte Kostenfaktor ist der Transferaufwand mit 120 Mio: 51 ½ Mio Kreisumlage, 24 Mio gehen für den Betrieb der Kindergärten an die freien Träger, 12 Mio verlangt der Niersverband, 7 Mio werden für Heimunterbringung ausgegeben. Beim Transferaufwand haben wir keinen Spielraum, kein Sparpotential.

Der zweitgrößte Posten sind die Personalaufwendungen mit 76 ½ Mio. Im Gegensatz zum Kreis und den meisten umliegenden Kommunen hat unser Kämmerer hier schon 7% mehr eingeplant als im Vorjahr – ich fürchte aber, dass auch dies nicht reichen wird. Verdi fordert 10,5% Lohnerhöhung, mindestens aber 500€. Bei über 1.100 Beschäftigten summiert sich dieser Mindestbetrag von 6000€ jährlich auf 6,6 Mio, mit Steigerung der Lohnnebenkosten kommen so rund 8 Mio Mehraufwand zusammen – ohne die Mehrkosten durch die dringend benötigten zusätzlichen Stellen.Auch wir haben eine zusätzliche halbe Stelle zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit gefordert. Die Belegung der städtischen Übernachtungsstelle zeigt, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Im Kreis Viersen gibt es gerade mal 30 Plätze, der Kreis Kleve hat 120 Plätze, die vom LVR refinanziert werden. Wir brauchen dringend ein Konzept zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit.

Wenn wir uns die Teilpläne ansehen, fällt der Teilplan 6 – Kinder, Jugend und Familie besonders auf mit einem Defizit von fast 40 Mio.

Der Aufwand beträgt hier über 64 Mio, zum Großteil wegen Transfer- und Personalaufwand. Wir bekommen zwar Landeszuschüsse und Elternbeiträge, aber wir können weder die Einnahmen erhöhen noch die Kosten senken.

Auf Platz 2 und 4 folgen die weiteren Teilpläne im Sozialbereich: 3 Schule und 5 Soziales. In den drei Sozial-Teilplänen haben wir einen Gesamtaufwand von 93 Mio und ein Defizit von 60 ½ Mio. Bei der Erfüllung dieser Pflichtaufgaben ist kein Spielraum erkennbar, meine Herren und Damen.

Wir haben in den städtischen Finanzen ein strukturelles Defizit. In den nächsten Jahren werden die Probleme nicht geringer: Die Inflation, insbesondere die hohen Energiepreise und auch die steigenden Zinsen erhöhen unsere Kosten drastisch. Wenn es zu der befürchteten Rezession kommt, werden auch unsere Steuereinnahmen wegbrechen. Die Schlüsselzuweisungen speist das Land aus 23% seiner Steuereinnahmen – wenn diese sinken, bekommen wir auch entsprechend weniger. Da der Kreis Viersen die gleichen Probleme hat, müssen wir auch noch steigende Kreisumlage befürchten. Die mittelfristige Finanzplanung sieht deswegen für die nächsten Jahre ebenfalls Defizite in ähnlicher Höhe vor.

Unser Eigenkapital wird also von zur Zeit knapp 200 Mio bis 2026 auf 160 Mio sinken. Bis dahin wird unser fiktives „Sondervermögen“ - die Bilanzhilfe – auf 28,2 Mio angewachsen sein. Wenn wir dies dann dem Kapital entnehmen, bleiben uns nur noch 2/3 des heutigen Standes.

Natürlich ist das noch viel Geld, aber es ist ja in Schulen und Kindergärten, Straßen und anderem Infrastruktur-Vermögen gebunden. Wir können ja nicht Straßen oder Schulen verkaufen, um Löhne zu zahlen oder die Kreisumlage zu entrichten.

Da wir auf der Ausgabenseite kaum größere Einsparungen realisieren können, werden wir ernsthaft über Steuererhöhungen nachdenken müssen. Mir ist bewusst, dass eine schwächelnde Wirtschaft kaum mehr Gewerbesteuer aufbringen kann. Die Grundsteuer-Reform wird schon bei gleichbleibendem Gesamtaufkommen Verlierer haben, auch hier ist also eine Erhöhung schwer vermittelbar. Wenn wir aber wegen des strukturellen, dauerhaften Defizites unter Aufsicht eines Sparkommissars geraten, wird der die Steuersätze in einem Maß erhöhen, das uns allen nicht Recht sein kann.

Von jedem Häuslebauer verlangt die Bank, dass er wenigstens den jährlichen Wertverlust – die Abschreibung – tilgt. Uns fehlt dazu aber das Geld: seit Jahren tilgen wir wesentlich weniger, als wir von unserem Vermögen abschreiben. Auch die jährlich neu entstehenden Pensionsverpflichtungen buchen wir zwar als Rückstellung, können es aber nicht tatsächlich beiseite legen, wie es der Kreis Viersen mit dem Viersen-Fonds macht.

Neben dem Ergebnisplan müssen wir uns auch den Finanzplan ansehen, insbesondere die geplanten Investitionen.

Da Baumaßnahmen oft nicht in einem Jahr abgeschlossen werden, legen wir uns mit dem Plan auch auf Verpflichtungen für die nächsten Jahre fest.

Die größte geplante Maßnahme ist mit 21,6 Mio der OGS-Ausbau, zu dem wir rechtlich verpflichtet sind. Auf dem zweiten Platz stehen 16,7 Mio für den Bau der neuen Rettungswache – auch dies ist zwingend notwendig, um die gesetzlichen Reaktionszeiten einhalten zu können. Den 3. Platz nimmt der Bau eines Parkhauses am Bahnhof ein: hier sind 7,1 Mio Investition vorgesehen. Hinter dem Bahnhof ist jetzt ein Park&Ride-Platz mit 307 Plätzen. Hier soll nun ein Parkhaus mit 229 Plätzen auf 6 Ebenen entstehen. Allerdings entfallen dadurch 93 der bisherigen Parkplätze, also etwa 1/3.

Durch den Bau entstehen also 136 neue Parkplätze. Da die wegfallenden Plätze gefördert waren, müssen wir zusätzlich rund 300 T€ Förderung zurückzahlen, somit kostet der Bau 7,4 Mio. Auch wenn man die darin enthaltenen Kosten für die mit geplante Fahrradstation abzieht, kostet jeder der neuen Parkplätze fast 45 Tausend Euro.

Die Fahrradstation ist sinnvoll, allerdings mit 1,3 Mio auch zu teuer. Einen Sinn im Bau des Parkhauses können wir aber nicht sehen. Mehr Parkplätze ziehen auch mehr Verkehr an, besonders, wenn der Parkplatz gebührenfrei ist. Viele Städte reduzieren ihre Parkplatz-Zahl. Sinnvoller wäre statt dessen eine bessere ÖPNV-Anbindung des Bahnhofes.

Oder sollen die Plätze im Parkhaus gebührenpflichtig werden? Dann sähe es noch schlimmer aus: kaum ein Pendler ist bereit, jeden Tag für den Platz Gebühren zu zahlen und 93 bislang freie Plätze verschwinden. Die Pendler werden daher entweder doch mit ihrem Fahrzeug zur Arbeit fahren oder die umliegenden Wohngebiete verstopfen. Verkehrswende sieht anders aus.

7,1 Mio – das ist auch ziemlich genau der Betrag, den die Verwaltung für den Ausbau der Grundschule Krefelder Straße genannt hat und den ein Bürgerbegehren fordert. Was ist wichtiger: Zusätzlicher Platz für den motorisierten Individualverkehr oder wohnortnahe Versorgung der Grundschulkinder, meine Herren und Damen?

Investitionen in den Bau neuer Radwege sucht man vergeblich. Es gibt lediglich Planungsmittel für Freiheitsstraße, Radweg Viersen-Dülken und den Niersradweg, aber keine Realisierungen.

Was ist aus Ihrem Leuchtturm-Projekt „Radweg Freiheitsstraße“ geworden, Frau Bürgermeisterin? Nach Fertigstellung des Tiefensammlers sollte hier doch etwas Besonderes realisiert werden. Dazu waren bereits 2021 80T€ für Planungen veranschlagt und in diesem Jahr ebenso. Straßen-NRW lässt aber als Baulastträger nur eine einfache Radspur zu, das hat der Ausschuss für Stadtentwicklung und Planung schon im Februar vorigen Jahres akzeptiert.

Die Baustelle Tiefensammler ist geräumt, jetzt braucht es doch keine Planung mehr, sondern nur einen Pinsel und einen Eimer Farbe. Machen Sie es doch einfach!

Zu Rad- und Fußgänger-Verkehr gibt es eine ganze Reihe Anträge von verschiedenen Fraktionen. Immer wieder wurden wir aber vertröstet auf ein Gesamtkonzept, den neuen Verkehrsentwicklungsplan. Vor zwei Jahren haben wir bei den Haushaltsberatungen investive und konsumtive Mittel für Radwege gefordert, Investitionen wurden abgelehnt, aber 120 T€ für Radweg-Sanierungen aus dem Fahrbahndecken-Programm umgewidmet. Im vergangenen Jahr wurden dann 209 T€ bereitgestellt, in diesem Jahr soll es der doppelte Betrag werden. Was ist bisher damit geschehen, was ist geplant? Die einzige konkrete Maßnahme bisher ist die Renovierung der Straße Clörather Mühle. Das ist zwar als Radwanderweg ausgewiesen, ist aber eine ganz normale Verkehrsstraße. Auch die Planungen für Wehrbruchweg und Landwehrstraße betreffen normale Straßen. Wir haben die Gelder für Fahrbahndecken umgeleitet für Radwege, und Sie bezahlen damit dann doch normale Fahrbahndecken – das ist nicht in Ordnung, meine Damen und Herren!

Sehr gefreut habe ich mich aber über die Mitteilung von Frau Fritzsche letzte Woche im Finanzausschuss. Wegen der Verdopplung der Mittel wird nun in diesem Jahr mit der Sanierung des Radweges zwischen Viersen und Boisheim begonnen.

Auch wenn es noch einige Baustellen gibt (und mit dem Parkhaus mindestens eine zuviel) – insgesamt stimmen wir dem Haushalt zu.

Bei unseren Haushaltsberatungen wurden wir von der Kämmerei sehr gut unterstützt, alle unsere Fragen wurden ausführlich beantwortet. Dafür möchte ich mich bedanken.

Auch Ihnen allen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.

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