Grüne zum Haushalt Viersen „Ein fauler Kompromiss von CDU und SPD“

Viersen · In seiner Haushaltsrede kritisiert Norbert Dohmen (Grüne) die Bestrebungen der CDU, die Steuern weniger stark zu erhöhen als von der Verwaltung vorgeschlagen. Wir dokumentieren seine Rede im Wortlaut.

 Norbert Dohmen, stv. Fraktionsvorsitzender Bündnis90/Die Grünen.

Norbert Dohmen, stv. Fraktionsvorsitzender Bündnis90/Die Grünen.

Foto: Knappe, Joerg (jkn)

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, werte Kolleginnen und Kollegen, liebe Viersenerinnen und Viersener,

„Das Warten hat sich gelohnt“ schrieb die RP vor zwei Wochen zu den Vorschlägen der CDU. Was für ein Sarkasmus!

Ende vorigen Jahres wollten wir den Haushalt verabschieden, das scheiterte aber am verzweifelten Bestreben der CDU, Steuererhöhungen, die nach Jahren stabiler Steuersätze nicht mehr zu vermeiden waren, doch noch zu verhindern.

Fast ein halbes Jahr befinden wir uns deshalb schon im Nothaushalt.25 Stellen, die besetzt werden müssen, können nicht besetzt werden. Notwendige Investitionen müssen verschoben werden. Und das erste Quartal des Jahres ist schon rum!

Besonders deutlich wird es bei den freiwilligen Leistungen, die wir nicht mehr machen dürfen. Die Aktion „Viersen blüht“ muss dieses Jahr ausfallen und das Jazz-Festival im nächsten Jahr ist gefährdet: Verträge mit Künstlern können erst abgeschlossen werden, wenn der Haushalt beschlossen, veröffentlicht und von der Aufsicht genehmigt ist. Dann aber werden wir kaum noch Künstler*innen verpflichten können, die die gewohnte Qualität des Festivals bieten.

Seit Dezember müssen wir nun schon auf den Haushalt warten, weil die CDU noch auf der Suche nach dem fehlenden Geld in der Stadtkasse ist.

So wie sie im Dezember auch auf der Suche nach einem neuen Partei-Vorsitz war. Da wenigstens sind Sie ja fündig geworden, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei einer Regionalkonferenz in Düsseldorf warf einer der drei Kandidaten uns Grünen vor, wir wollten überall nur aussteigen. Wir müssten aber einsteigen.

Nein, meine Damen und Herren! Weder wollen wir überall aussteigen, noch sollten wir bedenkenlos irgendwo einsteigen – wir müssen umsteigen. Wir müssen umsteigen von Stickoxid und Ruß schleudernden Dieselautos und CO2-produzierenden Verbrennungsmotoren auf umweltfreundliche Elektro- und Wasserstoff-Autos.

Unser lokaler Grundversorger, die NEW, geht hier schon mit gutem Beispiel voran: Zusammen mit der Uni Aachen entwickeln sie gerade ein kleines E-Auto, bieten E-Car-Sharing an und bauen die Lade-Infrastruktur bei uns aus. Das ist gut, das ist Klimaschutz UND das ist ein Geschäftsmodell! Und da wollen wir doch bitte nicht meckern, was ein öffentliches Versorgungsunternehmen auf fremden Geschäftsfeldern zu suchen hat!

Im Gegenteil: Nehmen wir uns ein Beispiel daran! Tun wir alles, damit in Viersen Fahrradfahren und ÖPNV wieder attraktive Alternativen zum Auto werden. Mit maroden Radwegen wie dem zwischen Dülken und Boisheim werden wir das Umsteigen auf‘s Fahrrad nicht erreichen.

Wir müssen auch umsteigen von der unbeherrschbaren Atomkraft und der schmutzigen Kohleverstromung auf erneuerbare Energien aus Wind, Sonne und Erdwärme. Auch hier haben wir ein lokales Leuchtturm-Projekt: Der Kreis Viersen errichtet zusammen mit dem Kreis Wesel in Asdonkhof eine Bioabfall-Anlage, die aus den Grünabfällen neben Kompost auch leicht speicherbares Biogas erzeugt. Gut für den Klimaschutz!

Mindestens ebenso gut: Die Aktion „Fridays for Future“ ist inzwischen auch in Viersen angekommen. Ich freue mich, dass sich immer mehr Menschen für unsere ur-grünen Ziele einsetzen. Ich finde es klasse, dass hier eine große Bewegung entstanden ist, in der junge Menschen für ihre Zukunft eintreten.

Wer allerdings verlangt, die Jugendlichen sollten doch bitteschön in der Freizeit demonstrieren, hat Greta Thunberg nicht verstanden. Gerade durch zivilen Ungehorsam, durch Regelverstöße bekommt die Bewegung ihre Kraft und Aufmerksamkeit. Ich wette mit Ihnen, dass wir von dieser Bewegung noch lange hören werden!

Umweltschutz, Naturschutz, Klimaschutz – das sind unsere grünen Themen von Anfang an! Inzwischen sind ja auch alle anderen dahinter gekommen, dass da was dran sein muss.

Aber wir sind keine 1-Themen-Partei. Fachwissen und Lösungsansätze haben wir schon seit vielen Jahren auf allen Politikfeldern zu bieten. Wer beispielsweise in Brüssel einen Finanz-Fachmann sucht, stößt unweigerlich auf Sven Giegold, unseren grünen Spitzenkandidaten für die Europawahl.

Auch hier in Viersen hat sich herumgesprochen, dass die Grünen in Haushaltfragen kein dummes Zeug reden. Ja, ich habe den Eindruck, dass wir sogar über Parteigrenzen hinweg für unsere Finanz-Kompetenz anerkannt werden.

Meine Damen und Herren, wenn Sie das anerkennen, dann bitte ich Sie –und damit meine ich unsere Große Haushaltskoalition – dringend, noch einmal über Ihre Pläne nachzudenken.Denn auch hier müssen wir umsteigen: Weg vom Löcher-Stopfen im Haushaltssicherungskonzept hin zu einem zum strukturell ausgeglichenen Haushalt, der uns Bewegungsfreiheit und neue Gestaltungsräume für unsere Stadt verschafft – zum Beispiel für die Bewerbung zur Landesgartenschau!

Seit Jahren verweise ich darauf, dass unser HSK auf Dauer nicht funktionieren wird. Dies zeigt sich immer deutlicher, je weiter wir auf das Ende der zehnjährigen Konsolidierungsphase zukommen. Und – so dachte ich wenigstens - steter Tropfen höhlt den Stein: Jedenfalls hat sich vor 1 ½ Jahren die CDU unseren Argumenten angeschlossen und mit uns gemeinsam einen ausgeglichenen Plan für 2018 beantragt.

Doch welche Ironie! Während sich damals die SPD und unsere Bürgermeisterin vehement gegen diesen Antrag wehrten – da dies nur mit Steuererhöhungen möglich wird -, ist nun ausgerechnet die CDU abgesprungen – und SPD und Verwaltung kämpfen mit uns für die notwendigen Abgaben-Steigerungen. Das verstehe wer will!

Dass Für-Vie Steuererhöhungen ablehnt, liegt dagegen in der Natur unserer politischen Kollegen von der Banken- und Unternehmer-Partei. Auf die unseriösen Einwände der FDP zu angeblichen Spartöpfen des Kämmerers, Buchungstricks und angeblich gefundenen Milliönchen einzugehen, lohnt nicht – auch wenn wir uns das gleich noch einmal anhören müssen.

Und nun dieser Vorschlag der CDU, die Hebesätze weniger anzuheben. Rechnen wir doch einmal nach:

Ein Anstieg des Grundsteuer-Hebesatzes auf 480 statt 495 ergibt knapp 380.000 Euro Mindereinnahmen im Jahr, das macht pro Einwohner und Monat 41 Cent. Die Erhöhung der Gewerbesteuer um acht statt zehn Punkte ergibt nochmals 160.000 Euro weniger für das Viersener Gewerbe. Das entspricht doch pro Unternehmen nicht einmal einer Briefmarke pro Monat!

Meine Damen und Herren, da haben sich doch vier Monate Warten und Hoffen ja so richtig gelohnt!

Von einer Ersparnis von 2,2 Millionen Euro zu reden, ist reichlich populistisch: Dies ist die Summe von ganzen vier Jahren. Pro Jahr sind es gerade mal 540.000 Euro. Oder anders gesagt: 0,23% des Etats.

Das ist ungefähr so, als würde ich beim Kuchenbacken einen Tropfen von der Glasur verschütten!

Allerdings beträgt der geplante Überschuss für 2019 nach der letzten Veränderungsliste gerade mal 150.000 Euro. Mit der haushaltspolitischen Schönrechnerei, den die CDU uns zumutet und den die SPD nun gegen die innere Überzeugung mitträgt, wären wir dann aber wieder im negativen Bereich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann machen sie mal schön – aber: Dann wird das auch nichts mit dem Ausstieg aus dem HSK!

Ausgeglichen werden soll der Haushalt – nach Meinung der christdemokratischen Finanzexperten – schließlich mit anderen Mehreinnahmen. So sollen angeblich 100.000 Euro mehr über die Vergnügungssteuer eingenommen werden als in 2018.

Ja woher denn, frage ich Sie? Im Gegenteil werden wohl aufgrund der neuen Rechtslage sogar Spielhallen geschlossen werden müssen!

Außerdem erwarten Sie 700.000 Euro Einnahmen aus alten, bereits abgeschriebenen Steuerforderungen. Aha! Natürlich kommt aus bereits niedergeschlagenen Forderungen immer wieder mal was rein – aber diese Größenordnung ist doch völlig unrealistisch.

Wir wollten uns doch eigentlich freischwimmen aus den Zwängen der Haushaltssicherung – wir wollten mal wieder den Kopf über‘s Wasser kriegen. Nun aber guckt gerade mal die Nase aus dem Wasser und bei der nächsten Welle gehen wir wieder unter.

Und das, wo sich für die fetten Haushaltsjahre gerade das Ende ankündigt. Die nächste Konjunktur-Delle ist doch schon in Sicht. Dank Brexit, dank globaler Handelskonflikte, die unsere amerikanischen Freunde ebenso egoistisch wie egozentrisch anheizen. Ja, meine Damen und Herren, das Warten hat sich ja so was von gelohnt!

Eben hab' ich die SPD noch gelobt. Und nun verhandelt sie gegen die eigene Überzeugung mit der CDU noch einen Kompromiss zum Kompromiss. Sie will von dem Glasur-Tropfen noch drei Moleküle auf den Kuchen übertragen.

Nein, meine Damen und Herren! Nach einer Verlängerung gibt’s ein Elfmeterschießen – und nicht noch eine Verlängerung.

Nur mit Buchungstricks und völlig überhöhten Steuer-Schätzungen schaffen Sie es gerade noch auf ein Plus. Die fiktiven 170.000 Euro über der Null wollen Sie dann aber auch direkt wieder ausgegeben. Diese neuen Ausgaben wollen Sie aber über neue Kredite finanzieren, damit zeigen Sie doch deutlich, dass Sie selbst nicht an die Mehreinnahmen glauben.

Übrigens: Die größte Abgabenerhöhung finden wir gar nicht bei Grund- und Gewerbesteuer, sondern durch die Umstellung der Abschreibungen auf Abwasserkanäle. Das kommt die Bürgerinnen und Bürger mit 1,5 Millionen Euro jährlich teuer zu stehen.

Es ist doch bezeichnend, dass diese Erhöhung in der denkwürdigen Ratssitzung im Dezember mucksmäuschenstill beschlossen wurde. 1,5 Millionen Euro - und keiner hat’s gemerkt! Und stattdessen werden sich gleich alle unheimlich freuen, wenn hier ein Haushalt auf ganz dünnem Eis beschlossen wird!

Meine Damen und Herren, wir werden gerne heute einen Haushalt gemeinsam mit Ihnen beschließen – aber nur den von der Verwaltung vorgelegten Entwurf! Den faulen Kompromiss von CDU und SPD können wir nicht mit tragen.

Zum Schluss möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Kämmerei danken. Wir von der Politik haben es Ihnen in diesem Jahr besonders schwer gemacht, dafür möchte ich mich entschuldigen.

Und Ihnen allen hier danke ich für Ihr aufmerksames Zuhören!

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