Interview Wolfgang Jöres „Ich verlasse einen spannenden Job“

Brüggen · Nach 32 Jahren Schuldienst geht Gesamtschulleiter Wolfgang Jöres. Ein Gespräch über Lehrer, Särge und Sport.

 Gesamtschulleiter Wolfgang Jöres geht in den Ruhestand.

Gesamtschulleiter Wolfgang Jöres geht in den Ruhestand.

Foto: Knappe, Joerg (jkn)

Herr Jöres, gehen Sie gern zur Schule?

Wolfgang Jöres Ja, nach wie vor. Natürlich freut man sich nicht jeden Tag auf alles. Aber meine Grundhaltung ist „Ich gehe gern zur Schule“. Dazu trägt auch das Umfeld bei aus Schülern und Kollegen. Wir haben sehr viele freundliche Schüler.

Würden Sie Ihren Kindern empfehlen, heute Lehrer zu werden?

Jöres Das musste ich nicht: Meine ältere Tochter ist Grundschullehrerin geworden. Sie wollte nie etwas anderes machen. Sie ist nach Holland gegangen, weil sie hier keinen Studienplatz gefunden hat und ist vor vier Jahren eingestellt worden. Für sie ist das der ideale Beruf: Sie liebt Kinder. Jeder andere Beruf wäre für sie schlechter. Mein Sohn und meine jüngere Tochter wollten nicht den Lehrberuf ergreifen.

Sie haben seit 2009 die Gesamtschule Brüggen geleitet. Ist man als Schulleiter noch Pädagoge oder mehr Manager?

Jöres Sicherlich geht es mehr in Richtung Manager. Man sollte nicht aber den Fehler machen, zu vergessen, dass man Pädagoge ist. Ich habe immer Wert darauf gelegt, noch zu unterrichten, habe Stunden in Deutsch und Sport gegeben – zumal wir eine phantastische Sporthalle in Brüggen haben.

Wie sieht der Alltag eines Schulleiters aus?

Jöres Es ist hauptsächlich Büroarbeit. Der Unterricht spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. In den vergangenen Jahren habe ich immer lieber unterrichtet. Der Bürokratismus frisst einen als Schulleiter auf. Es gibt immer mehr Statistiken, die zu erstellen, immer mehr Berichte, die zu schreiben sind. Dazu kommen zahlreiche Gespräche – und das ist etwas, was in keiner Stellenausschreibung steht. Was dagegen enthalten ist – etwa Zeugnisse unterschreiben – macht nur 0,5 Prozent der Arbeit aus. Als Schulleiter muss man viel kommunizieren, und das auf unterschiedlichen Ebenen, mit Schülern, Eltern und Kollegen.

Sie haben an der Kaufmannsschule und der Beruflichen Schule in Krefeld unterrichtet, haben parallel zwei Jahre lang das Sportcenter Blumental geleitet und sind 1987 zur Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Moers gekommen. Für Sie ein guter Weg?

Jöres Ich war sehr froh, dass der Wechsel zur Gesamtschule geklappt hat. Ich hätte mich auch mit dem Bereich Berufsschule angefreundet und bin froh, viele unterschiedliche berufliche Erfahrungen gesammelt zu haben. Wäre ich nicht zur Gesamtschule gekommen, hätte ich nie die Möglichkeit gehabt, die Entwicklung von Fünftklässlern zu selbstbewussten, erwachsenen Menschen verfolgen zu können. Das ist etwas, was mich völlig begeistert. Bei manchen Schülern verfolgt man die Entwicklung auch noch gern weiter.

Immer mehr Haupt- und Realschulen schließen. Neben dem Gymnasium ist die Gesamtschule in vielen Kommunen noch die einzige andere weiterführende Schule. Hätten Sie mit einer solchen Entwicklung gerechnet?

Jöres Ich bin ein glühender Verfechter der Gesamtschule. Die Entwicklung des Schulsystems ist ein schwieriges Thema. Die Hauptschulen werden mit Lobeshymnen zu Grabe getragen: Das ist bitter. Wenn ich die Möglichkeit hatte, habe ich immer gestandene Hauptschullehrer eingestellt. Sie kannten das Leben. Ich halte das Gesamtschulsystem für so gut, weil es eine gesellschaftliche Klammer ist in einer Gesellschaft, die auseinander zu driften droht. In der Gesamtschule schaffen Schüler unterschiedlicher sozialer Herkunft, unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Intelligenz etwas gemeinsames Gutes. Wir lassen niemanden zurück.

32 Jahre im Schuldienst: Gibt es etwas, woran Sie sich gern erinnern?

Jöres Es gibt so viele, schöne und große Erlebnisse. Da fällt es schwer, eines herauszustellen. Es waren wohl die Gemeinschaftserlebnisse, die besonders schön waren. Als Jugendlicher habe ich viel gejobbt, in einer Tankstelle, einer Brauerei, einer Sargfabrik. Es gibt nichts Schlimmeres, als während der Arbeit auf die Uhr zu schauen und sich zu fragen, warum die Zeit nicht vergeht; auch die Bundeswehr war ganz fürchterlich und langweilig. Als Schulleiter kann ich sagen: Ich verlasse keinen langweiligen Job. Da fragt man sich eher, wo die Zeit geblieben ist.

Und woran erinnern Sie sich ungern?

Jöres Einmal hat sich eine Lehrkraft nicht ihrer Verantwortung gestellt und sich nicht akzeptabel verhalten. Damals habe ich erfahren, dass man in einer fast unlösbaren Situation kaum Hilfe bekommt.

 An der Geschwister-Scholl-Gesamt-  schule Moers 1993.

An der Geschwister-Scholl-Gesamt- schule Moers 1993.

Foto: Repro: D. Buschkamp/Repro: Daniela Buschkamp
  Jöres 1983 mit Klaus Holl, ebenfalls Schulleiter.

 Jöres 1983 mit Klaus Holl, ebenfalls Schulleiter.

Foto: repro: D. Buschkamp/Repro: Buschkamp, Daniela

Wenn Sie nicht mehr zur Schule gehen: Worauf freuen Sie sich?

Jöres Darauf, meine Zeit selbstbestimmt einteilen zu können. Ich mache mir da keine Sorgen: Es gibt so viel Zeit und so viele Dinge zu tun. Sport ist dabei ganz wichtig für mich, er ist auch eine Therapie.

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