Drohnenprogramm: Washington und London verhängen Sanktionen gegen den Iran
EILMELDUNG
Drohnenprogramm: Washington und London verhängen Sanktionen gegen den Iran

Niederkrüchten Dunkles Kapitel in der Grenzgeschichte

Niederkrüchten · Fast 300 Deutsche und Niederländer gedachten der 14 Toten, die 1944 von einem deutschen Erschießungskommando ermordet wurden. Rund 3000 Roermonder waren damals anschließend in die Zwangsarbeit deportiert worden.

 Niederkrüchtens Bürgermeister Kalle Wassong will nachwachsende Generationen für die Geschehnisse sensibilisieren.

Niederkrüchtens Bürgermeister Kalle Wassong will nachwachsende Generationen für die Geschehnisse sensibilisieren.

Foto: Knappe, Joerg (jkn)

Dass er den Befehl zur Erschießung von 14 unschuldigen Menschen gegeben hat, scheint Major Ulrich Matthaeas zeitlebens nicht sonderlich belastet zu haben. „Für mich ist die Sache erledigt“, soll der frühere deutsche Wehrmachtsoffizier 1984 in einem seltenen Interview gesagt haben. John Vaessen hat dieses menschenverachtende Zitat gefunden. Der engagierte Amateur-Historiker aus Roermond stellt es an den Anfang seiner Anklage an Matthaeas, die er vor fast 300 Menschen am Mahnmal im Lüsekamp formuliert. Matthaeas war nach dem Zweiten Weltkrieg unter falschem Namen in Salzgitter untergetaucht und erst 1971 enttarnt worden. Vor ein Gericht kam er nie. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig stellte die Ermittlungen 1976 wegen Verjährung ein.

Für viele Menschen beidseits der Grenze ist „die Sache“ auch 74 Jahre nach den furchtbaren Geschehnissen der letzten Dezembertage des Jahres 1944 nicht erledigt. Auch diesmal versammelte sich wieder eine beeindruckende Zahl am Mahnmal im Lüsekamp, das 1996 auf Initiative der Gemeinde Niederkrüchten errichtet wurde, um der Toten zu gedenken. 13 Niederländer und ein polnischer Zwangsarbeiter waren in der Nacht vom 26. auf den 27. Dezember 1944 unweit des heutigen Gedenksteins von einem deutschen Erschießungskommando ermordet worden. Die Jüngsten, Jan Sevenich und Jan Tobben, waren gerade einmal 16 Jahre alt. Ihre Gräber mussten die Opfer zuvor selbst in den gefrorenen Boden hacken. Nach dem Krieg wurden ihre Leichen exhumiert und unter großer Anteilnahme der Roermonder Bevölkerung beigesetzt. Ihre letzte Ruhestätte ist auf dem Friedhof „Tussen de Bergen“.

Als Roermonder Ortskommandant hatte Matthaeas an ihnen ein grausames Exempel statuiert. Die 14 bei einer Razzia entdeckten Männer hatten sich wie alle anderen aus Angst geweigert, Matthaeas’ Verordnung zu befolgen und sich zum Arbeitseinsatz zu melden. Als die Erschießung bekannt wurde, folgten fast 3000 verängstigte Roermonder dem Aufruf. In der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember wurden sie in einem zwölfstündigen Gewaltmarsch durch Kälte und Schnee nach Dülken getrieben und von dort in die Zwangsarbeit deportiert.

„Als Freunde und gute Nachbarn“, sagte Niederkrüchtens Bürgermeister Kalle Wassong (parteilos), schauen Deutsche und Niederländer seit der Errichtung des Mahnmals 1996 alljährlich gemeinsam auf dieses dunkle Kapitel der Grenzgeschichte zurück. Und das sei notwendiger denn je, wie Wassong deutlich machte: „Wir sollten wachen Auges wahrnehmen, dass in unserer Welt des 21. Jahrhunderts nationalistisches und populistisches Gedankengut sich immer mehr verbreitet“, sagte er. „Das, was sich noch vor ein paar Jahren an rassistischen und populistischen Äußerungen niemand getraut hätte öffentlich zu äußern, ist nahezu alltäglicher Sprachgebrauch in den Parlamenten in Den Haag, Düsseldorf oder Berlin geworden. Es liegt in unserer Verantwortung, die nachwachsenden Generationen immer und immer wieder für die Erkenntnis zu sensibilisieren, dass es nicht selbstverständlich ist, wie wir heute weitestgehend leben: in Freiheit, Demokratie und Toleranz, insbesondere hier an der Grenze, mitten in Europa.“

Vor diesem Hintergrund sei die in den Gedenkstein gemeißelte Formel – „Den Toten zur Ehre, den Lebenden zur Mahnung“ – stets aktuell, ergänzte der Roermonder Beigeordnete Frans Schreurs bei der Gedenkfeier: „Ein Leben in Freiheit und ohne Angst ist das höchste Gut. Das lassen wir uns nicht nehmen“, sagte er.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort