Familie Beckers aus Schwalmtal Steigende Gaspreise – „Wir wissen nicht mehr weiter“
Schwalmtal · Simone und Dietmar Beckers aus Schwalmtal sind verzweifelt: Sie haben ihre künftige Gasabschlagszahlung erhalten. Nun wissen sie nicht, wie sie ihr Leben weiter finanzieren können. Die Beckers sind kein Einzelfall. Bei der Verbraucherzentrale Krefeld suchen immer mehr Menschen Rat.
Simone Beckers sitzt mit dicker Strickweste am Tisch. In ihrem gemieteten Haus am Rosenweg in Schwalmtal-Amern ist es kühl – und das wird auch so bleiben. „Wir versuchen alles, um zu sparen. Doch ich weiß nicht mehr weiter“, sagt die 56-Jährige verzweifelt.
Beckers und ihr Mann Dietmar (56) haben gerade eine höhere Abschlagzahlung von ihrem Gasversorger Montana erhalten. 942,09 Euro sollen sie ab 1. November 2022 im Monat für Erdgas bezahlen. Für das Ehepaar aus Schwalmtal „unmöglich“. Und das, obwohl Dietmar Beckers arbeitet und jeden Monat 1967 Euro nach Hause bringt. Doch in Zukunft wird das kaum reichen.
820 Euro zahlt das Ehepaar Miete für ein Haus von etwa 1800. Auf 120 Quadratmetern wohnt noch der pflegebedürftige Bruder von Dietmar Beckers, der Pflegegeld erhalte. Simone Beckers ist seine Betreuerin. Außerdem gehören zwei Hunde und eine Katze zum Haushalt. Zusätzlich zur Miete hat das Paar bisher monatliche Stromkosten von 210 Euro bezahlt. Bis August habe man für Gas zwischen 300 und 400 Euro gezahlt. Dann sei die erste Anhebung der Abschlagzahlungen von Montana gekommen: auf 655 Euro monatlich. Schon da habe Familie Beckers schwer geschluckt.
Mit Datum vom 13. September erhielt die Schwalmtaler Familie dann den zweiten Brief ihres Erdgasanbieters: Demnach soll sie ab 1. November monatliche Abschläge in Höhe von 942,03 Euro leisten. „Das ist eine Erhöhung um mehr als 43 Prozent“, hat die 56-Jährige ausgerechnet. Der Arbeitspreis von 22,38 Cent pro Kilowattstunde (KWh) werde um 9,81 Cent auf 32,19 Cent/KWh (inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer) erhöht, heißt es in dem Schreiben, das der Redaktion vorliegt. Der Grundpreis bleibe unverändert.
Doch perspektivisch würden die Kosten sinken, wenn die Bundesregierung wie geplant die Mehrwertsteuer auf sieben Prozent senkt. Das bedeutet für die Beckers: Statt des Arbeitspreises von 33,19 Cent/KWh müssten sie dann 28,94 Cent/KWh bezahlen; ihr Grundpreis würde sich außerdem verringern auf 10,79 Euro statt zwölf Euro. „Wenn dies (die geplante Mehrwertsteueranpassung, die Redaktion), wovon wir ausgehen, die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat erhält, werden wir dies vollumfänglich an Sie weitergeben“, heißt es in dem Schreiben von Montana.
Das Unternehmen begründete die höheren Zahlungen ausführlich mit der bis 2024 befristeten Gasbeschaffungsumlage, die bei 2,879 Cent/KWh (inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer) liegt; zudem mit der Gasspeicherumlage die 0,07 Cent/KWh inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer beträgt und einer SLP-Bilanzierungsumlage, die sich auf 0,678 Cent/Kilowattstunde inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer beläuft. „Die stark gestiegenen Großhandelspreise verursachen auch bei Montana deutliche Kostensteigerungen in der Energiebeschaffung“, heißt es in dem Schreiben weiter. „Da wir anteilige Mengen bereits zu günstigeren Konditionen beschafft haben, können wir den Anstieg bis zu einem gewissen Grad abfedern, ihn aber nicht vollumfänglich kompensieren.“ Verglichen mit dem aktuellen Preis muss Familie Beckers zum 1. November 9,806 Cent/KWh mehr bezahlen. Eine aktuelle Anfrage wurde von der Pressestelle des Unternehmens Montana mit dem Hinweis auf Urlaub beantwortet; eine Vertretung gibt es nicht.
Simone und Dietmar Beckers sind kein Einzelfall, weiß Peter Lindackers von der Verbraucherzentrale in Krefeld. Immer mehr Menschen auch aus dem Kreis Viersen würden dort Rat angesichts der dramatisch steigenden Energiekosten suchen: „Es sind so viele, dass auch wir an unsere Kapazitätsgrenzen stoßen“, sagt Lindackers.
Inzwischen habe die Energiekrise auch arbeitende Menschen mit geringem Einkommen und Rentner erreicht. „Früher kamen 85 Prozent Leistungsempfänger mit Fragen zu uns; heute sind es nur noch 60 Prozent“, sagt er. Er rechnet mit einer weiteren Zunahme der Betroffenen. Immer mehr Menschen würden angesichts der erhaltenen Rechnungen für Gas und Strom die Berater der Verbraucherzentrale fragen: „Wie sollen wir das bezahlen?“
Darauf haben auch die Verbraucherschützer keine pauschale Antwort, sagt Peter Lindackers. Auf der Homepage seien aktuellen Antworten rund um die Energiekrise veröffentlicht. Zudem verweisen die Berater auf die unterschiedlichen Möglichkeiten der staatlichen Hilfe. Und wenn keine angesparten Reserven verfügbar seien, so wie bei vielen Klienten, dann raten sie zur privaten Schuldnerberatung.
Der Leiter der Verbraucherzentrale Krefeld weiß: „Das wird für viele Menschen ein harter Winter werden.“ Er empfiehlt, einen Wechsel in die Grundversorgung zu prüfen oder mit dem Versorger Ratenzahlungen auszuhandeln. Allerdings: Eine langfristige Lösung ist das nicht: „Das hilft vielen vielleicht einen Monat. Doch was ist mit den übrigen elf Monaten?“ Weitere Unterstützung sei durch das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung möglich.
Auf neue Vorgaben warte man auch bei der Schwalmtaler Verwaltung: „Das Wohngeld umfasst noch nicht die Heizkosten. Da müssen wir die geplanten Änderungen abwarten“, erklärt Pressekoordinator Jan Winterhoff. Mehr Anfragen von Rentnern oder Leistungsempfängern habe es bisher nicht gegeben.
Und die Beckers? Simone Beckers habe den Wechsel zu anderen Anbietern durchgerechnet: Das bringt nichts. Es ist noch teurer.“ Deshalb hat das Paar das Heizen auf ein Minimum beschränkt – außer für den pflegebedürftigen Bruder. Es wird sich auch im Winter einschränken. Verzicht gilt auch beim Duschen: „Ich dusche einmal die Woche, nehme sonst den Waschlappen“, sagt die 56-Jährige. Vor dem Lebensmitteleinkauf blättere sie Prospekte durch, suche Angebote, eingeweckt habe sie auch schon. „Bisher kamen wir zurecht, doch sparen konnten wir nicht“, sagt die 56-Jährige.
Sie wisse nicht, wie sie sich noch weiter einschränken können. Vielleicht könnten sie umziehen, doch angesichts der hohen Mieten bezweifelt die Amernerin, damit zu sparen. Auf die beiden alten Autos könnten sie wegen der Arbeit ihres Mannes in Viersen und regelmäßiger Arztbesuche nicht verzichten. „Einige haben mir schon gesagt ,Schaff doch die Tiere ab’“, erzählt Simone Beckers traurig und zieht die dicke Strickweste enger um die Schultern. Sie habe sechs Kinder großgezogen, sei siebenfache Großmutter, habe gearbeitet, so lange sie konnte. Doch jetzt weiß sie nicht mehr weiter.