Kämmerer Rolf Corsten "Eine Stadt ohne Kultur – unvorstellbar"

Viersen · Kämmerer Rolf Corsten verwaltet in Viersen den Mangel: Die Stadt gibt Jahr für Jahr mehr aus, als sie einnimmt. Mit Blick auf die sinkende Kinderzahl müsse die Infrastruktur überdacht werden: Wie viele Sportplätze etwa braucht Viersen?

 Rolf Corsten, Kämmerer und Erster Beigeordneter der Stadt Viersen. Er will der Politik nicht vorschlagen, freiwilige Leistungen zu streichen.

Rolf Corsten, Kämmerer und Erster Beigeordneter der Stadt Viersen. Er will der Politik nicht vorschlagen, freiwilige Leistungen zu streichen.

Foto: Busch

In Viersen kostet ein Jahresausweis der Stadtbücherei 15 Euro. Gleichzeitig plant die Stadt, 2013 etwa 16,5 Millionen Euro Verlust zu machen. Passt das zusammen?

Corsten Nein. Natürlich sollten wir die Bücherei günstig halten für Menschen, die sich den Besuch sonst nicht leisten können. Trotzdem ist die Frage berechtigt, weshalb auch jemand, der im Jahr 100 000 Euro verdient, Bücher für 15 Euro leihen können muss. Wir haben mit dem Haushaltsplan 2013 beschlossen, unsere Entgelte zu erhöhen.

Die Stadt subventioniert auch das Schwimmbad, Konzerte in der Festhalle, macht Öffentlichkeitsarbeit. Hätte die Stadt hier nicht längst sparen müssen?

Corsten Damit sprechen Sie die freiwilligen Leistungen an. In diesem Bereich ist in den vergangenen Jahren bereits mehrfach eingespart worden. Den ersten defizitären Haushalt haben wir 1993 vorgelegt. Seitdem haben wir zum Beispiel mehr als 130 Stellen in der Verwaltung gestrichen, bei derzeit etwa 1000 Stellen.

Im Moment steigt die Zahl der Beschäftigten.

Corsten Das hat mehrere Gründe. Wir mussten mehr Feuerwehrleute einstellen, nachdem der Europäische Gerichtshof geurteilt hat, dass Bereitschaftszeit als Arbeitszeit gilt, und damit die wöchentliche Arbeitszeit von 54 auf 48 Stunden reduziert wurde. Deshalb brauchen wir mehr Personal. Außerdem wird die Betreuung unter Dreijähriger ausgebaut. Allein dafür mussten 40 Kindergärtner zusätzlich eingestellt werden, jede Stelle kostet die Stadt etwa 50 000 Euro.

Dafür erhält die Stadt einen Ausgleich vom Land.

Corsten Ja, aber dieser deckt die Ausgaben bei weitem nicht.

Viersen muss sich den defizitären Haushalt genehmigen lassen. Was passiert ohne Genehmigung ?

Corsten Dann greift Paragraf 82 der Gemeindeordnung. Er besagt, dass die Stadt ohne gültigen Haushalt keine freiwilligen Ausgaben machen kann, in nichts investieren und keine Kredite aufnehmen darf. Es würde auch niemand mehr befördert.

Wäre es sinnvoll, diese Vorgaben vorsorglich umzusetzen, um zu sparen?

Corsten Nein. Der Vorschrift ist für einen Zeitraum von einem bis zwei Monaten gedacht, nicht mehr. Nehmen Sie zum Beispiel den Beförderungsstopp: Gute Mitarbeiter würden in eine Stadt wechseln, die noch befördert, und uns verloren gehen. Das würde Viersen langfristig schaden.

Sie beeinflussen als Kämmerer die Entscheidung, wo gespart wird, indem Sie der Politik Vorschläge machen. Werden Sie vorschlagen, die freiwilligen Leistungen zu streichen?

Corsten Nein. Eine Stadt ohne freiwillige Leistungen, ohne Sport, Musik, Kultur, kann ich mir nicht vorstellen. Dann käme ein Großteil des öffentlichen Lebens zum Erliegen, der Sport, der Musik und Kultur, auch den ehrenamtlichen Aktiven fehlte das Geld.

Was kann Viersen noch tun?

Corsten Ich halte es nicht für sinnvoll, genaue Vorschläge zu machen. Es ist kein Geheimnis, dass wir gerade prüfen, wo wir die Straßenbeleuchtung ausschalten können. Ich denke zum Beispiel, dass auf dem Parkplatz am Ransberg die Beleuchtung nicht rund um die Uhr brennen muss. Außerdem müssen wir angesichts der demografischen Entwicklung die gesamte städtische Infrastruktur überdenken, zum Beispiel im Sport muss man sich fragen, ob man so viele Sportplätze benötigt, wie wir derzeit haben. Die Zahl der Kinder sinkt nun einmal.

Viersen wird Ende 2013 etwa 130 Millionen Euro Schulden haben. Ist die Stadt noch kreditwürdig?

Corsten Ja, natürlich. Im deutschen Recht ist die Insolvenz einer Gebietskörperschaft ausdrücklich ausgeschlossen.

Und weil sie ausgeschlossen wird, gibt es die Pleite auch nicht?

Corsten Anders als bei Privatunternehmen ist eine Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich nicht vorstellbar, da sich Bund, Länder und Gemeinden über Steuereinnahmen finanzieren.

Die Steuern zahlen dann die, die heute jung sind, und ihre Kinder.

Corsten Wir müssen uns bei allen Entscheidungen darüber im Klaren sein, dass die heute Jungen und deren Kinder unsere Schulden bezahlen müssen. Deshalb halte ich es auch für wichtig, noch einmal über Steuererhöhungen nachzudenken, um künftige Generationen nicht übermäßig zu belasten.

CONSTANZE KRETZSCHMAR FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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