Viersen Ein unvergessliches Musik-Erlebnis

Viersen · Die Sopranistin Diana Damrau, Bass-Bariton Nicolas Testé und das Münchner Rundfunkorchester musizierten in der Festhalle Viersen

 Dunkles Spitzenoberteil und weit ausschwingender, rosafarbener Taftrock: optisch und akustisch war Diana Damrau bei ihrem Auftritt in Viersen sehr wohl eine Diva.

Dunkles Spitzenoberteil und weit ausschwingender, rosafarbener Taftrock: optisch und akustisch war Diana Damrau bei ihrem Auftritt in Viersen sehr wohl eine Diva.

Foto: Knappe Jörg

Den musikalischen Berühmtheiten, die im Laufe der Jahre der für ihre ausgezeichnete Akustik hoch gelobten Festhalle die Ehre gaben - in der Vergangenheit zum Beispiel Herbert von Karajan, in jüngerer Zeit der Pianist Lang Lang oder die Ausnahmegeigerin Anne-Sophie Mutter - ist nun ein Sängerehepaar hinzuzufügen: die weltweit anerkannte Sopranistin Diana Damrau und der ebenfalls weitgereiste Bass-Bariton Nicolas Testé. Ihre Tournee "Verdissimo", die sie heute ins Festspielhaus Baden-Baden führt und die am 5. Juni im Musikvereinssaal Wien noch einmal zu erleben ist, begannen sie in Viersen - eine Ehre für diese Stadt!

Vom großen Opernkomponisten Giuseppe Verdi (1813-1901) wählte das seit 2010 verheiratete Künstlerehepaar, das zwei Söhne hat, nicht nur bekannte Arien, sondern glücklicherweise auch weniger Bekanntes aus, so eine Arie und ein Duett aus "I Masnadieri", einer Oper, der Schillers Drama "Die Räuber" zugrunde liegt.

Als erstklassige Begleiter hatten sich Damrau und Testé der Mitwirkung des "Münchner Rundfunkorchesters" versichert, das sich unter der sehr genauen, doch stets von viel Temperament bestimmten Leitung des Kroaten Ivan Repusic als kongenialer Mitgestalter erwies. Auch in Ouvertüren und Vorspielen zeigte das überwiegend junge Orchester seine außerordentlichen Qualitäten.

Nach der von Nicolas Testé mit balsamisch-ausdrucksstarkem Bass-Bariton zelebrierten Arie des Fiesco aus "Simone Boccanegra" erschien die "Kultfigur unserer Zeit" ("The Guardian"), optisch sehr wohl eine Diva, in einem Traum eines Festkleides - dunkles Spitzenoberteil und weit ausschwingender, rosafarbener Taftrock. Doch wie sie dann freundlich nicht nur das Publikum, sondern auch das Orchester und den Dirigenten begrüßte, am Schluss ihrer Arien solistisch wirkenden Musikern nachdrücklich dankte oder Ivan Repusic sogar den im Eifer des Gefechts heruntergefallenen Taktstock aufhob, das zeigte, dass die "schwäbische Nomadin" - 1971 in Günzburg an der Donau geboren - herzerfrischend, geerdet und ganz natürlich geblieben ist. Ersten großen Jubel erntete Damrau mit der berühmten Arie der Violetta aus "La Traviata", in der nicht nur die Leuchtkraft ihres Ausnahmesoprans, sondern auch ihre viel gerühmte Koloraturgewandtheit großartig zur Geltung kam.

Doch das "Bühnentier", wie sie sich selbst bezeichnet, hat auch eine beachtenswerte zweite Seite. Nach der Pause, als sie sich - angepasst an die ernsten Vorträge des zweiten Teils - in roter, golddurchwirkter Abendrobe mit schwarzer, langer Stola präsentierte, sang sie die Arie der Desdemona ("Otello"), die ahnt, dass ihr grundlos eifersüchtiger Gatte sie töten werde. Das diese Szene beschließende "Ave Maria", ganz zurückgenommen ins ergreifende Pianissimo, konnte zu Tränen rühren. Die Zuhörer waren restlos begeistert, Bravorufe mischten sich zunehmend in den brausenden Applaus. Selbiges wurde im Anschluss daran zu Recht auch Nicolas Testé zuteil, der - getragen vom glutvollen Solo des großartigen ersten Cellisten des Orchesters - die Arie des Philipp aus "Don Carlo" faszinierend gestaltete. Den Abschluss bildete ein Duett aus der frühen Verdi-Oper "Luisa Miller" (nach Schillers "Kabale und Liebe"), in der das Sänger-Ehepaar erneut zeigte, wie gut es in jeder Weise harmoniert.

Gleich zu Beginn der brausenden Schlussovationen eilte ein junger Mann zur Bühne, um der verehrten Künstlerin ein Blumenangebinde zu überreichen. Zwei brillante Solovorträge gewährten die Künstler und das Orchester gerne zum Dank, doch auch danach ruhte das Publikum nicht. Ratlosigkeit machte sich unter den Protagonisten breit, und der Dirigent erklärte, eine dritte Zugabe sei nicht vorbereitet, deshalb werde, "wenn Sie nichts dagegen haben, das schöne Masnadieri-Duett noch einmal wiederholt".

Nun endlich waren die Zuhörer zufrieden, und vermutlich hatte kaum jemand bemerkt, dass der unvergessliche Abend bis eine Stunde vor Mitternacht gedauert hatte.

(oeh)
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