Schwalmtal Ein großer Schritt ins Leben

Schwalmtal · Iris von Krebs wurde vor fünf Jahren bei einem Unfall schwer verletzt. Monatelang lag sie im Koma. Jetzt ist die junge Frau ein zweites Mal zu Hause ausgezogen – in eine WG für Menschen mit erworbener Hirnschädigung.

 In ihrem kleinen Appartement kocht Iris von Krebs selbst Kaffee für ihre Gäste. Seit sie vor viereinhalb Jahren einen schweren Unfall hatte, muss die 27-Jährige auch solche Handgriffe wieder neu lernen.

In ihrem kleinen Appartement kocht Iris von Krebs selbst Kaffee für ihre Gäste. Seit sie vor viereinhalb Jahren einen schweren Unfall hatte, muss die 27-Jährige auch solche Handgriffe wieder neu lernen.

Foto: Isabella Raupold

Iris von Krebs wurde vor fünf Jahren bei einem Unfall schwer verletzt. Monatelang lag sie im Koma. Jetzt ist die junge Frau ein zweites Mal zu Hause ausgezogen — in eine WG für Menschen mit erworbener Hirnschädigung.

Olé, hier kommt Iris. "Schreiben Sie das unbedingt. Olé ist mein Lieblingswort", hatte die junge Frau gesagt und dabei gelacht. "Olé" ist Spanisch und heißt "bravo", und Stadionbesucher jubeln damit ihrer Mannschaft zu. "Vorwärts, auf geht's!", rufen sie damit, und für Iris ist dieses Wort vielleicht auch ein Slogan, der Mut macht, ihr selbst und ihrer Familie.

Die 27-Jährige hat viel geschafft. Und jetzt hat sie einen Schritt gemacht, den sie nach dem Abitur in Waldniel schon einmal machte: Sie zog zu Hause aus. Damals nach Landau in der Pfalz, wo sie Sonderpädagogik studierte. Heute in eine Wohngemeinschaft in Rheindahlen. In der Einrichtung der Hephata leben zwölf Männer und Frauen, die alle wie Iris eine Hirnschädigung erworben haben — durch einen Unfall, durch einen Schlaganfall, ein Aneurisma. Junge, so wie Iris, und Ältere. Jeder hat ein eigenes Appartement, zur Betreuung gibt es Assistenten, die bei der Bewältigung des Alltags unterstützen sollen.

Vor fünf Jahren wurde die Waldnielerin am Studienort von einem Auto angefahren, auf dem Heimweg von der Disko. Durch den Aufprall brachen alle Knochen im Körper. Operationen folgten, monatelang lag die Studentin im Koma, später im Wachkoma. Stück für Stück wurde Iris wacher, kämpfte sich ins Leben zurück. Und schließlich geschah das Wunder: Sie wachte auf. Reha-Aufenthalte folgten, Logopäden, Ergotherapeuten und Krankengymnasten sind auch jetzt noch ständige Begleiter.

In den vergangenen drei Jahren wohnte Iris wieder zu Hause bei der Mutter in Waldniel. "Das ist schon sehr praktisch, wenn einem die Mutter jeden Wunsch von den Augen abliest", sagt Iris schmunzelnd. "Aber als Vorbereitung auf ein eigenständiges Leben ist eine WG doch besser."

Iris kann wieder gehen (am Rollator oder, wenn jemand sie hält), sie kann sprechen, auch wenn es manchmal noch etwas schwerfällig klingt und sie länger über die Wortwahl nachdenken muss. Was früher selbstverständlich war, hat sie sich in den vergangenen Jahren neu erkämpfen müssen, "aber das letzte EEG hat gezeigt, dass einige Areale im Gehirn sehr aktiv sind", sagt sie.

Ein Zeichen dafür, dass es weitergeht, dass sie noch mehr lernen kann. In der WG kann und muss sie ihren Tagesablauf selbst planen. Zwischen den Therapiestunden ist Zeit, Musik zu hören, fernzusehen, einen Mitbewohner zu besuchen oder am PC zu spielen. "Ich spiele gern Solitär, aber ich hätte auch gern einen Internetzugang, damit ich E-Mails abrufen kann", sagt Iris.

Denn auch Lesen und Schreiben klappt wieder, wenn die Schrift nur groß genug ist, und sie möchte den Kontakt zu Freunden halten. Alles kleine Schritte, aber für Iris geht es oft nicht schnell genug. "Ich bin vielleicht auch zu kritisch mit mir selbst", sagt die 27-Jährige, "aber für mich bin ich zwei verschiedene Personen. Manchmal denke ich an die alte Iris, die ich vor dem Unfall war, und dann an die Iris, die ich heute bin, die behinderte Iris."

Die neue Eigenständigkeit in der WG tut der Familie gut, sagt Iris' Mutter. "Ich war oft gereizt in den vergangenen Monaten, ich war einfach alle", sagt Marja van Arendonk. Man reibt sich auf an der Sorge ums Kind. Nachdem Iris ausgezogen sei, habe sie die Tochter fast jeden Nachmittag besucht. Inzwischen ist Marja van Arendonk zwar auch noch oft in Rheindahlen, aber eben nicht mehr täglich. "Das ist so schön, wenn wir hier einen Kaffee trinken und erzählen können", sagt die Mutter, "wir haben viel mehr Gesprächsstoff. Und wenn ich gehe, lasse ich ein Stückchen Verantwortung hier, das entlastet".

Ihrer Tochter wünsche sie fürs neue Jahr "so viel Selbstsicherheit, dass du weißt, dass du alles kannst, wenn du willst", sagt Marja van Arendonk, "und dass du deinen Weg findest". Iris hat dafür schon einen ganz konkreten Wunsch: "Ich hätte gerne einen Freund."

(RP/rl)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort