Schwalmtal "Durch Platt wird Heimat hörbar"

Schwalmtal · Für die Mundartsprecher im Waldnieler Heimatverein ist "Neller Plott" vor allem eines: Zuhause. Wer mit anderen auf Platt erzählen kann, fühlt die Verbundenheit mit dem Ort und seinen Menschen

Sibilla Peschke wuchs zweisprachig auf: Der Vater sprach Platt, die Mutter Hochdeutsch. Kein Wunder, sagt Peschke, "meine Mutter ging mehr mit Menschen um, sie sprach mit den Lehrern, mit den Ärzten". Der Vater war Bäckermeister und blieb beim Platt. Kamen Waldnieler zu Besuch, sprachen beide Eltern an der Kaffeetafel Platt. Und die kleine Sibilla auch.

Viele alte Schätze, darunter auch Bücher und Zeitungen, bewahrt der Heimatverein Waldniel in der Heimatstube an der Niederstraße auf. Klaus Müller (v.l.), Sibilla Peschke, Manfred Holthausen und Remy Heepen engagieren sich auch in der Mundartgruppe des Vereins.

Viele alte Schätze, darunter auch Bücher und Zeitungen, bewahrt der Heimatverein Waldniel in der Heimatstube an der Niederstraße auf. Klaus Müller (v.l.), Sibilla Peschke, Manfred Holthausen und Remy Heepen engagieren sich auch in der Mundartgruppe des Vereins.

Foto: Franz-Heinrich Busch

Einige Jahrzehnte sind vergangen, seit an den Kaffeetafeln noch Platt gesprochen wurde. Die Mundart ist heute im Alltag selten zu hören. Heimatvereine bemühen sich, die Sprache des Ortes zu erhalten, schreiben Gedichte und Erzählungen auf, die man in Waldniel "Neller Vertellstöckskes" nennt, sprechen CDs ein oder leiten an Schulen Arbeitsgemeinschaften, um Kindern die Sprache der Heimat beizubringen. Im vergangenen Jahr wurde die Mundartgruppe im Heimatverein Waldniel mit dem Ehrenamtspreis der Gemeinde Schwalmtal ausgezeichnet. "Soll man nicht glauben", sagt Heimatvereinsvorsitzender Klaus Müller und schmunzelt: "Lange Zeit war Platt verpönt, und jetzt bekommt man einen Preis dafür."

Als die Mundartsprecher Kinder waren, mühten sich ihre Eltern, dem Nachwuchs Hochdeutsch beizubringen. Die 68-jährige Sibilla Peschke erinnert sich: "In Ungerath waren viele Bauern, einfache Leute. Sie hatten Sorge, dass ihre Kinder ausgelacht werden, wenn sie in die Schule gehen und Platt sprechen." Auch die Lehrer wollten die Mundart nicht hören. "Unsere Lehrerin hat darauf geachtet, dass wir kein Platt sprechen", erzählt Manfred Holthausen. "Wenn ich die Fälle verwechselte oder Wörter verwendete, die es im Hochdeutschen nicht gab, dann hieß es direkt: ,Fünf, setzen!'"

Der 73-Jährige ist wie Peschke zweisprachig aufgewachsen - doch kannte er durch die Eltern zwei Dialekte: Der Vater stammte aus Waldniel, die Mutter aus Mönchengladbach. Manfred Holthausen wuchs in Waldniel auf, heute wohnt er in Süchteln. Beim Sprechen gehen ihm die Besonderheiten der Mundarten manchmal durcheinander, hat er festgestellt - "hin und wieder muss ich mir Mühe geben, um in einem Platt zu bleiben".

Remy Heepen (70) geht es ähnlich: Seine Eltern - die Mutter aus Mönchengladbach, der Vater aus Waldniel - sprachen zwar miteinander Platt, nicht aber mit den Kindern. Erst in der Lehre, sagt Heepen, habe er Platt gelernt. Und so hat er heute mitunter das Problem, dass ihm Wörter im Mönchengladbacher Platt in den Sinn kommen, wenn er für die Mundartgruppe des Waldnieler Heimatvereins etwas lesen will, "dann muss ich erst mal überlegen, wie das auf ,Neller Plott' heißt".

Auch Klaus Müller muss manchmal überlegen, wie man etwas in Waldniel sagt. Die Mutter stammte aus Ungerath, der Vater aus Viersen. Müller wurde in Hehler geboren, dann zog die Familie nach Amern, dann nach Ungerath. Daheim sprach der Vater Platt, die Mutter versuchte, mit dem Sohn Hochdeutsch zu sprechen. Die Lehre absolvierte Klaus Müller in Brempt. Die Ortschaften liegen nahe beieinander - dennoch gibt es sprachliche Unterschiede. Das liege eben auch daran, dass man früher länger brauchte, um von einem Ort zum anderen zu kommen.

Heute sind die Wege kürzer. Die Menschen sind mobiler. Doch die Sehnsucht nach der Heimat bleibt. Diese Verbundenheit mit dem Dorf, den Menschen, wird durch die gemeinsame Sprache greifbar. Holthausen sagt: "Wenn man Platt sprechen kann, ist sofort ein anderes Klima. Heimat kann man sehen, riechen. Durch Platt macht man sie auch hörbar."

Müller hat dieses Zuhause-Gefühl, wenn er morgens mit dem Hund durch Waldniel geht und andere Mundartsprecher trifft. "Ich fühle mich sehr wohl, wenn ich Platt spreche", sagt der 67-Jährige. Platt sei eben wärmer, persönlicher als das Hochdeutsche - "kuscheliger", sagt Sibilla Peschke. Und nicht so ernst wie das Hochdeutsche, auch darin sind sich die Mundartsprecher einig. "Man kann auf Platt jemanden viel besser, viel herzlicher auf den Arm nehmen", sagt Müller.

Um die Mundart zu bewahren, setzt der Heimatverein auf Mitmacher: Bei Mundartnachmittagen können Interessierte hören, wie "Neller Plott" klingt, oder selbst etwas vortragen. Auch CDs seien eine gute Möglichkeit, die Sprache der Heimat festzuhalten, sagt Müller.

Peschke dichtet. Zu Ostern hat sie über "Paasch Sonndaach" geschrieben: "Osterhäskes jru-et on kleen, send vondaach wärr op de Been. Könne donze, höppe, sprenge, on de Kenger Eikes brenge. Ru-e, jröne, hemmelblaue on och bruune, sojaar jraue. Se send flott on och ärch kleen, ni-emes hät se ens jesi-en. Ech hab dech jeär, lev Osterhäske, möt et lostije Mümmelnäske." (Ostersonntag: Osterhäschen, groß und klein, sind heute wieder auf den Beinen. Können tanzen, hüpfen, springen, und den Kindern Eier bringen. Rote, grüne, himmelblaue und auch braune, sogar graue. Sie sind flott und auch sehr klein, niemand hat sie je gesehen. Ich habe dich gern, liebes Osterhäschen, mit dem lustigen Mümmelnäschen.")

(RP)
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