Kreis Viersen Die SPD hatte im Kreis geringen Rückhalt

Kreis Viersen · In diesem Jahr wird die sozialdemokratische Partei Deutschlands 150 Jahre alt. Die Partei forscht in ihrer Vergangenheit und feiert auf Kreisebene am 9. Juni das Jubiläum. Erste Ansätze gab es vor etwa 140 Jahren in der Region.

 Das Kreisarchiv in Kempen bewahrt unter anderem zahlreiche Plakate und Handzettel der SPD aus vergangenen Jahrzehnten auf.

Das Kreisarchiv in Kempen bewahrt unter anderem zahlreiche Plakate und Handzettel der SPD aus vergangenen Jahrzehnten auf.

Foto: Wolfgang Kaiser

"Mein Vater ist als Fabrikweber in meinem Geburtsort gekommen und hat über vierzig Jahre in einundderselben Fabrik gearbeitet", schrieb der Lobbericher Wilhelm Reimes später in Kindheitserinnerungen. Reimes war seit 1904 der 1. hauptamtliche Gauleiter des sozialdemokratisch orientierten Deutschen Textilarbeiterverbandes. In seinen Erinnerungen an die "Arbeiterjugend im Rheinland" schilderte er eindrücklich den harten Alltag der Eltern, die tagsüber und danach noch bis Mitternacht für die Textilindustrie in ihrem Heimatort schufteten, um ihre Familie durchzubringen.

An diese Lebensumstände erinnert die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in diesem Jahr mit besonderem Nachdruck. Denn sie wurde 1863, vor 150 Jahren also, zunächst als Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV), von Ferdinand Lassalle gegründet. Knappfünf Jahre später gab es Untergliederungen in Breyell (1868), Dülken und Süchteln (beide 1869). Mit einer Reihe von Veranstaltungen erinnert die SPD an die Gründungsphase sowohl auf Kreis- als auch auf Ortsebene. Der zentrale Festakt im Kreis findet am 9. Juni in der Viersener Generatorenhalle statt.

Eine Gruppe Sozialdemokraten um Mirjam Hufschmidt aus Willich und Jürgen Nickel aus Schwalmtal hat sich auf Spurensuche in der Vergangenheit begeben. Vieles hat Norbert Pies mit seinem Buch "Hetzer wohnen hier verhältnismäßig wenige." im Jahr 1989 bereits zusammengetragen. "Es gibt aber noch weitere Quellen, die wir ausgewertet haben. Leider können wir manche Orte, beispielsweise Gaststätten, in denen SPD-Versammlungen stattfanden, kaum noch nachweisen", sagt Mirjam Hufschmidt. Der Blick zurück sei die Basis für den Ist-Zustand der Kreis-SPD. "Nur darauf können wir unsere eigene Zukunft aufbauen", unterstreicht Kreisvorsitzender Udo Schiefner.

Die SPD hat sich in der Region immer schwer getan. Der heutige Kreis Viersen stand durch seine ländlich-katholische Prägung trotz des unbestreitbaren Arbeiterelends früh unter dem Einfluss Adolph Kolpings, der 1849 den ersten katholischen Gesellenverein in Köln gegründet hatte. Nur wenige Jahre später gab es in der Region ähnliche Gruppierungen: 1856 in Kempen, Dülken und Süchteln. Andere folgten unwesentlich später.

Stärker politisch ausgerichtete Arbeiter neigten im Kreis dem ADAV Lassalles zu. Ortsgruppen gab es früh in Breyell (1868), Dülken und Süchteln (1869), wo der ADAV ein "Arbeiter-Casino" einweihte. Begleitet wurde die Aufbauphase von internen Spannungen zwischen Lassalle-Anhängern und denen der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) unter der Führung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht. SDAP-Gruppen bilden sich auch im Kreisgebiet, besonders stark vertreten ist die Gruppierung in Dülken. Die wirtschaftliche und politische Krise erhöhen den Druck auf die Arbeiterbewegung, die verboten und Gegenstand des Sozialistengesetzes wird. Örtliche Versammlungen werden verboten, an den Repressionen ändert auch die Zulassung zu Reichstagswahlen später nichts. Reichsweite Aufmerksamkeit erfährt 1901 der Streik von 119 Kaldenkirchener Tabakarbeitern gegen Lohnkürzungen.

Überall bilden sich in dieser Zeit (auch christliche) gewerkschaftliche und sozialdemokratische Gruppierungen, am 1. Mai 1902 findet erstmals eine Mai-Feier der Arbeiterschaft statt. Während Wilhelm Reimes aus Lobberich Gauleiter der Textilarbeiter am linken Niederrhein in Krefeld wird, bildet sich zur selben Zeit erstmals ein SPD-Kreiskomitee im Kreis Kempen-Krefeld mit Sitz in Oedt.

Erst mit dem Ende des Ersten Weltkrieges änderte sich die Stellung der SPD. Sie wurde nun staatstragende Partei und musste politisch ausbaden, was der Kaiser und die ihm kurzzeitig folgende Militärdiktatur unter Ludendorff und Hindenburg angezettelt hatten. Einer kurzen Blüte folgte das Chaos der Republik von Weimar. Die Demokratie war zu schwach angelegt, nach dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft und dem Scheitern auch deutschnationaler Regierungen kam Hitlers NSDAP an die Macht. Die Partei wurde verboten, viele Mitglieder wurden in "Schutzhaft" genommen und misshandelt, ihre Gliederungen (Gewerkschaften, Sport-, Sozial-, Kulturvereine) wurden "gleichgeschaltet". "Aus dieser Zeit gibt es nur sehr wenige Quellen", bedauert Mirjam Hufschmidt. Da sei vieles bei Kriegsende vernichtet worden.

Mit dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" begann der neuerliche Aufstieg der SPD, die sich im Laufe der Jahre von der Arbeiter- zur Volkspartei entwickelte und spätestens auch mit der Kanzlerschaft Willy Brandts 1969 auch im wenig später gebildeten Kreis Viersen ganz neue Wähler- und Mitgliedergruppen erschloss. Traditionelle Gruppierungen gibt es dennoch kaum noch. Mit dem industriellen Niedergang auch im Kreisgebiet ging die Basis der klassischen Arbeiterschaft verloren. So gingen bereits die Betriebsgruppen im Laufe der 1970er-Jahre allmählich unter.

(RP)
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