Serie Vor 70 Jahren Die Schwächen des britischen Wahlsystems

Die versprochenen demokratischen Kommunalwahlen ließen nicht lange auf sich warten. Am 15. September 1946 wurden die Bürger zur Wahl der Gemeindevertretungen aufgerufen. Wider Erwarten gingen im Durchschnitt 83,5 Prozent zur Wahl. Freilich waren 7,5 Prozent der Stimmen ungültig, darunter offenbar viele ehemalige Nazis. Dazu der Oberkreisdirektor an die Militärregierung: "Einige Wähler gaben ihrer Meinung dazu Ausdruck, dass sie Hakenkreuze auf die Stimmzettel malten oder Schlagworte wie ,Gebt uns mehr Fett, mehr Brot, mehr Kohle'. Einer hatte eine alte Briefmarke mit dem Hitlerkopf auf den Stimmzettel gedrückt."

Die CDU errang einen überwältigenden Sieg. Sie erhielt auf Kreisebene 323 Sitze, das Zentrum 78, die SPD 32, die KPD 4 und die FDP 2. Auf unabhängige Kandidaten entfielen 33 Sitze. Dies entsprach aber nicht den tatsächlichen parteipolitischen Präferenzen der Bürger. Die von den Engländern vorgeschriebene Personalwahl mit Mehrheitsprinzip hatte zu einer empfindlichen Diskrepanz zwischen den erreichten Stimmen und den erreichten Sitzen geführt. Feinendegen nahm auch in dieser Frage kein Blatt vor den Mund: "Die undemokratischen Unterschiede zwischen der Zahl der Stimmen und Zahl der Sitze haben die Kritik der benachteiligten Parteien herausgefordert. Die SPD, die 19,68 Prozent aller Stimmen erhielt, bekommt nur 6,78 Prozent aller Sitze, die KPD erreicht bei 6,44 Prozent aller Stimmen nur 0,85 Prozent der Sitze".

Von den ersten gewählten Bürgermeistern (ausschließlich Männer), die sich schweren politischen Aufgaben gegenüber sahen, seien beispielhaft genannt: Dr. Wilhelm Pielen (Amern), Peter Michels (Anrath), Heinrich Reyners (Dülken), Peter Kother (Kempen), Wilhelm Dammer (Grefrath), Clemens Bötzkes (Lobberich), Dr. Ernst Uhrmacher (Waldniel) Joseph Gleumes (St. Hubert), Werner Maassen (Willich), Wilhelm Müller (Breyell), Gerhard Ingenkamp (St. Tönis).

Knapp einen Monat später schritt man zur Wahl des Kreistages. Die Wahlbeteiligung ging auf 71,6 % zurück. Erneut gab es ein enormes systembedingtes Missverhältnis zwischen den erzielten Stimmen und den Sitzen. Von 48 Kreistagsmandaten erhielt die CDU 40, die SPD aber nur 5. Bei einer Verhältniswahl wären es 25 beziehungsweise 13 gewesen.

Die KPD war mit einem Sitz im Kreistag vertreten, und musste sich den Spott gefallen lassen, dass ihre Initialen als "Kleinste Partei Deutschlands" umgedeutet wurden. Arg gebeutelt war auch das Zentrum mit gerade einmal zwei Sitzen.

Das englische System der Doppelspitze (Landrat/Oberkreisdirektor, Bürgermeister/Gemeindedirektor) hielt sich bis 1999, das englische Wahlverfahren dagegen war nicht von Dauer.

(prof)
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