Kunstgenerator-Stipendiatin in Viersen Gekommen, um zu bleiben

Justyna Janetzek lebt und schafft als Kunstgenerator-Stipendiatin seit Januar in der Alten Lateinschule. Jetzt werden ihre in Viersen entstandenen Werke gezeigt. Anders als ihre Vorgänger zieht es sie nach Ablauf des Stipendiats nicht fort.

 „Viersen hat sehr viele skurrile architektonische Momente“, sagt Kunstgenerator-Stipedantin Justyna Janetzek. Für ein Jahr durfte sie in der Alten Lateinschule gratis wohnen – jetzt will die Künstlerin in Viersen bleiben.

„Viersen hat sehr viele skurrile architektonische Momente“, sagt Kunstgenerator-Stipedantin Justyna Janetzek. Für ein Jahr durfte sie in der Alten Lateinschule gratis wohnen – jetzt will die Künstlerin in Viersen bleiben.

Foto: Knappe, Joerg (jkn)

„Es war ein intensives Jahr“, sagt Justyna Janetzek. Seit Januar lebt die Künstlerin in der Alten Lateinschule, dort hat sie auch ihr Atelier. Fremd habe sie sich in Viersen nie gefühlt. Schließlich war sie vor ihrem Stipendium schon zweimal für einige Wochen hier: 2014 anlässlich der Ausstellung ihrer Klasse der Kunstakademie Münster, wo sie von 2009 bis 2016 studierte und 2018 zur Bewerberausstellung zum Kunstgenerator. Und sie mag die Stadt: „Viersen ist eine authentische Stadt. Viele sagen, hier sei nicht viel los. Das mag ja vielleicht stimmen, aber die Menschen hier sind so freundlich. Ich laufe über den Markt und werde nett angesprochen.“ Das sei ihr in Münster, wo sie immerhin acht Jahre gelebt hat, nicht passiert. Münster empfindet sie im Gegensatz zu Viersen als eine „künstliche Stadt unter einer Glasglocke“. „In der Kunstakademie Münster bin ich allerdings sehr gut angekommen.“

 „Ich habe die Feuertreppe des Kreishauses halbiert und verfremdet. Man fragt sich: Ist das noch ein Geländer oder schon eine Skulptur?“ Janetzeks Werk heißt „Escape the Stripes“.

„Ich habe die Feuertreppe des Kreishauses halbiert und verfremdet. Man fragt sich: Ist das noch ein Geländer oder schon eine Skulptur?“ Janetzeks Werk heißt „Escape the Stripes“.

Foto: Knappe, Joerg (jkn)

Hier in Viersen hat Justyna Janetzek viele gute Freunde gefunden. „Ich bin ein kommunikativer und neugieriger Mensch.“ Ihr Eindruck von Viersen, seinen Menschen und Möglichkeiten war so positiv, dass sie die Stadt nach Ablauf des Stipendiums nicht verlassen, sondern dauerhaft mit ihrem Partner hierbleiben wird. „Ich habe ein sehr großzügiges Angebot für ein Atelier erhalten. Und schon eine Wohnung gefunden.“ In Viersen sei sie nah an Düsseldorf, Köln, dem Ruhrgebiet und der niederländischen Grenze. Das Einzige, was die konsequente Radfahrerin im Vergleich mit Münster vermisst, sind die Fahrradwege.

 „Diese ortsbezogene Arbeit passt ausschließlich hierhin – nie wieder wird sie so wie hier zu sehen sein“, sagt Janetzek über „Intersperse“.

„Diese ortsbezogene Arbeit passt ausschließlich hierhin – nie wieder wird sie so wie hier zu sehen sein“, sagt Janetzek über „Intersperse“.

Foto: Knappe, Joerg (jkn)

Geboren wurde Justyna Janetzek 1986 im polnischen Klosterbrück und begann in Oppeln ihre künstlerische Ausbildung. Wenn sie an „zu Hause“ denkt, dann denkt sie nicht an Münster, sondern an Polen. „Ich bin sehr mit meinem Heimatland verbunden.“ Dort zeigt sie auch immer wieder in Ausstellungen ihre Werke.

Die Liste ihrer Ausstellungen seit 2005 ist wirklich beachtlich. In zahlreichen Ruhrgebietsorten, in Polen, in Italien, in München, Paris und Marseille zeigte Justyna Janetzek ihre Arbeiten. Die Künstlerin arbeitet immer ortsbezogen. Das bedeutet, dass ganz viel Viersen in ihren Skulpturen, Installationen und Zeichnungen zu entdecken ist, die sie in ihrer Ausstellung in der Galerie zeigt. „Ich bin immer auf Erkundungstour und sehe mir die Umgebung genau an“, erklärt Janetzek. Das muss man ihr lassen: Sie sieht Dinge, die Menschen, die seit Jahrzehnten in Viersen leben, noch nie entdeckt haben. Wem waren diese außergewöhnlichen Feuertreppen am Kreis- oder Stadthaus bewusst, bevor Justyna Janetzek sie in ihren Skulpturen aufgriff?

 „Viele Menschen haben mir Geschichten von der alten Kaiser’s-Schokoladenfabrik erzählt. Hier habe ich Bezug auf den Schornstein genommen.“ „Chimney Blues“ heißt Janetzeks Werk.

„Viele Menschen haben mir Geschichten von der alten Kaiser’s-Schokoladenfabrik erzählt. Hier habe ich Bezug auf den Schornstein genommen.“ „Chimney Blues“ heißt Janetzeks Werk.

Foto: Knappe, Joerg (jkn)

„Ich finde, Viersen hat sehr viele skurrile architektonische Momente“, findet die Künstlerin – hieraus schöpft sie für ihre Kunst. Aus Anlass des „Skulpturlabors“ im Sommer entstand bereits die Installation „Stairs and Stripes“, in der sie die diagonalen und vertikalen Linien in Stahl aufgriff, übertrug und ausdem Zusammenhang der Feuertreppe isolierte. Diesen Gedanken hat Janetzek fortgeführt, indem sie die Notausgangstreppe des Kreishauses, von der Janetzek sagt „sie sieht aus, als würde sie schweben“, künstlerisch weitergedacht hat: So wird die Arbeit „Escape the Stripes“ am Sonntag die Besucher der Galerie begrüßen und sie wie eine Leitplanke in die Ausstellung führen. Die Arbeit scheint sich mit den am Kreishaus entdeckten Bögen selbstständig und federleicht in den Raum fortzusetzen. Das starre Material Stahl wird beweglich. „Der Besucher kann durch Architektur und Skulptur hindurchlaufen, sich umdrehen und schauen“, erklärt Janetzek.

 „Ich kann nicht jede Idee in eine materielle Skulptur umsetzen. Hier habe ich eine virtuelle Skulptur installiert. Sie könnte existieren“, sagt Justyna Janetzek über ihr Werk „F.M. 51’15’21.8’’N6’23’28,0’’E“

„Ich kann nicht jede Idee in eine materielle Skulptur umsetzen. Hier habe ich eine virtuelle Skulptur installiert. Sie könnte existieren“, sagt Justyna Janetzek über ihr Werk „F.M. 51’15’21.8’’N6’23’28,0’’E“

Foto: Knappe, Joerg (jkn)

Ihre alltäglichen Wege führten Justyna Janetzek von der Alten Lateinsschule zur Galerie im Park. Von der ursprünglichen Bebauung ist wenig übrig geblieben. Zumindest äußerlich. In den Köpfen der alteingesessenen Viersener allerdings sieht das anders aus. Sie erzählten der Künstlerin von früher und von dem Schokoladengeruch, der aus den Schornsteinen der Fabrik über die Stadt zog. Jutta Pitzen gelang es, aus dem Kreisarchiv zwei Fotos auszuleihen, die den ehemaligen Produktionsbetrieb der Firma Kaiser’s Kaffee in Viersen zu Anfang des 20. Jahrhunderts zeigen. Den hochaufragenden Schornstein nimmt Janetzek in ihrem „Chimney Blues“ auf, einem Türmchen, das sich extrem langsam dreht und den Betrachter in die Erinnerungen an die Vergangenheit zieht.

In der Gegenwart gibt es Dinge in Viersen, die Justyna Janetzek wütend machen: Auf Facebook regen sich User in der Gruppe „Langweiliges Viersen“ über Kunst im öffentlichen Raum auf. Ihnen spielte Janetzek eine vermeintliche Skulptur in die Hand, die nur virtuell existiert. Aber für sehr reale Aufregung sorgte.

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