Viersen Deutsches Turnfest ist Gemeinschaft pur
Viersen · Am 18. Mai findet das Deutsche Turnfest in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg statt. Für viele Sportler ist das Event ein Muss. Auch Anette Cremer-Voget (78) und Josef Greven (76) haben viele Male teilgenommen. Ein Rückblick.
Anette Cremer-Voget und Josef Greven sitzen vor einigen Unterlagen, die sie zum Deutschen Turnfest zusammengetragen haben. Manche Fotos und Dokumente sind sehr alt, aus den Jahren 1958 und 1978, als die beiden zum ersten Mal an der Veranstaltung teilgenommen haben. Doch keiner von beiden sieht auf die Fotos. Sie sitzen nicht nebeneinander, sondern jeder im eigenen Wohnzimmer. Beide haben den Blick in die Ferne gerichtet, lächeln, und erinnern sich, wie die Veranstaltungen für sie waren: "Gemeinschaft", sagen sie unabhängig voneinander. Gemeinschaft sei das A und O.
Am 18. Mai ist es wieder so weit. Dann pilgern Tausende Sportler aus ganz Deutschland zum Turnfest. Die 78-Jährige Turnerin und der 76-Jährige Schwimmer haben beide je neunmal selbst teilgenommen oder junge Sportler begleitet — sie zuerst 1978 in Hannover, er 1958 in München. Beide denken gern an diese Zeit zurück, haben jedoch unterschiedliche Meinungen. "Das Turnfest ist heute nicht mehr das, was es vor 30 Jahren einmal war", sagt Greven. "Kaum jemand ist noch die gesamte Veranstaltung über da. Viele kommen erst nach der Eröffnungsfeier und reisen vor der Abschlussveranstaltung schon wieder ab."
Dabei seien gerade das doch die Höhepunkte gewesen. Schnelllebiger sei heute alles. Die Zeit, die man beim Turnfest ist, gehe vom Urlaub ab. Außerdem wolle man sich nicht mehr dauerhaft an einen Verein binden, sagt Greven. Doch das sei das Tolle. "Es ist das Schönste für einen Sportler, das alles gemeinsam zu erleben und gemeinsam etwas zu erreichen. Die ganze Woche beim Sportfest in ein Erlebnis. Man trifft Menschen aus ganz Deutschland, die man lange nicht gesehen hat. Man gehört dazu." Ähnlich empfindet es Anette Cremer-Voget, nur ist für sie das Turnfest mit der Zeit immer besser geworden. "Es war damals vor 50 Jahren schon toll, aber heute ist es noch perfekter — moderner. Was in den neuen Sportarten wie ,Rope Skipping' alles machbar ist, ist unglaublich", schwärmt sie und lobt vor allem den Zusammenhalt. "Ich bin selbst Fußballfan, aber solch eine Atmosphäre wie beim Turnfest gibt es nicht mal im Stadion." Keine Polizei, keine Krawalle, nur friedlichen und begeisterten Menschen begegnete man.
Bis vor vier Jahren hat die Turnerin noch aktiv am Fest teilgenommen, doch in den vergangenen Jahren hauptsächlich "ihre" Mädchen begleitet. Nicht nur der Zusammenhalt sei da ausschlaggebend gewesen, auch, dass man sich aufeinander verlassen konnte und etwas erlebt hat. "Ich habe sehr viel Wert auf ein kulturelles Programm gelegt. Wir haben in den verschiedenen Städten wirklich sehr viel gesehen."
Greven und Cremer-Voget sind sich einig: Das Deutsche Turnfest sollte für jeden Sportler ein Muss sein. Nicht das Training binde aneinander, sondern die Wettkämpfe, "wenn man hautnah am Pokal ist", erzählt Cremer-Voget und erinnert sich, dass es 1978 noch gar keine Medaillen gab. "Da gab es Lorbeerkränze — die haben einen furchtbar verunstaltet", sagt sie und lacht.
Beide sind oft mit ihren Familien zum Turnfest gefahren. "Meine Kinder waren im SG Dülken. So habe ich nach langer Pause auch wieder angefangen, mich aktiv zu betätigen, und habe 1983 mit ihnen in Frankfurt wieder an einem Turnfest teilgenommen", sagt Greven, der zuvor erst einmal als 21-Jähriger 1958 mit dabei war. Und es hat ihn gepackt, ebenso wie Cremer-Voget, die mit 74 Jahren zum letzten Mal dabei war.
Problematisch seien heute für einige Familien die Kosten: "Manche Schüler können es sich nicht leisten, eine Woche lang vor Ort zu sein", meint Greven. Cremer-Voget pflichtet ihm bei. "An Geburtstagen und zu Weihnachten habe ich meinen Mädchen immer geraten, etwas Geld für das Turnfest beiseite zu legen." Denn auch die Nebenkosten solle man nicht unterschätzen. Besonders die Mädchen wollen zwischendurch shoppen gehen, weiß Cremer-Voget. "Und die essen. Es kam mir manchmal vor, als seien sie nur am Essen."
Die 78-Jährige wird in diesem Jahr nicht am Turnfest teilnehmen. Greven hingegen ist noch nicht sicher. "Ich wurde von den Organisatoren wieder als Kampfrichter angefragt. Doch alleine werde ich nicht hingehen, nur dann, wenn sich Teilnehmer finden, die ich begleiten kann. Denn ohne die Gemeinschaft macht es nur halb so viel Spaß."
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