Brüggen Der Prophet des gegenwärtigen Gärtnerns

Brüggen · Torsten Matschiess aus Brüggen sorgt mit seiner alternativen Art von Gartengestaltung für Aufsehen — nicht nur in der Branche. In seinem Buch "Avantgardening" beschreibt er das Prinzip seines gewollt wild wirkenden Paradieses

Torsten Matschiess mit chinesischem Süßholz im Garten.

Foto: Burghardt

Trüb ist der Himmel und grau der Dunst, in dem sich die Silhouette des Windrads am Horizont aufzulösen scheint. Die Tristesse könnte aufs Gemüt schlagen, wenn im Garten nicht diese erlösenden Farbtupfer wären, die dem Grauschimmer zu trotzen scheinen: Gelb und Ocker stehen die dichten hüfthohen Grasbüschel. Stauden schimmern in Zartlila und Rostrot.

Fließender Übergang: Hoher Juni-Knöterich (Aconogonon sp. "Johanniswolke"), Prärie-Mädesüß (Filipendula rubra "Venusta Magnifica"), Kerzenknöterich (Bistorta amplexicaulis) und Hummelschaukel (Salvia uliginosa).

Foto: Torsten Matschiess

Mittendrin steht ein Mann im Mantel mit Hut und dunkler Brille: "Unser Garten hat im Winter seinen ganz besonderen Reiz", sagt Torsten Matschiess aus Brüggen. Er gilt als Prophet des "gegenwärtigen Gärtnerns", und entsprechend trägt sein neues Buch den Titel "Avantgardening", das in der Branche für Aufsehen sorgt. Sein großer Garten am Rande der Burggemeinde lockt Besucher aus dem In- und Ausland an, Fachleute zumeist, die staunen und fachsimpeln. "Das hier war früher ein Maisfeld, und wir haben alles erst mal brachliegen lassen, um zu sehen, was noch an Samen und Trieben in der Erde steckt, was sich daraus entwickelt", erinnert sich Matschiess. Es komme darauf an, die Beschaffenheit des Bodens kennenzulernen, zu prüfen, wie sie mit den eigenen Vorstellungen vom Garten in Einklang zu bringen ist.

Der 48-Jährige arbeitete in Düsseldorf in der IT- und Werbebranche, bis er einen realen Ausgleich zur virtuellen Welt suchte: "Das Internet ist tot, da kann man kaum noch richtig kreativ sein, aber ich will was entwickeln, gestalten, kreieren." Und zwar gärtnerisch, weshalb er mit seiner Lebensgefährtin 2004 nach Brüggen in ein Haus mit riesigem Grundstück zog.

Foto: Verlag Ulmer

Matschiess ist eben ursprünglich nicht vom Fach, musste sich deshalb nicht scheren um gärtnerische Konventionen, Traditionen und Prinzipien. Er studierte Fachliteratur und holte sich bei Experten Ratschläge, so bei Gärtner Hermann Gröne aus Leuth, dem renommierten Staudenkenner.

Schnell war Matschiess klar: Er will keinen verlängerten Wohnzimmerteppich. Rasenflächen gibt es nicht in seinem 8000 Quadratmeter großen Garten, auch "keine nackte Erde". Sein Paradies soll an jeder Stelle seinen Reiz haben, nicht nur beim Blick vom Haus aus, weshalb er mit der Regel brach, niedriges Gewächs nach vorn, hohes nach hinten zu pflanzen. Stattdessen: Probieren und prüfen, was wächst und gedeiht in dieser "schweren feuchten Erde". So gestalten, dass es ungestaltet wirkt, gewollt wild, bewusst so naturnah wie möglich.

"Ein Garten ist Kultur, und Kultur wird gestaltet", schränkt Matschiess ein. Er wolle die Natur nicht zwingen, ihr wohl den Freiraum nach seinen Vorstellungen lassen. Deshalb hadert er mit denen, die "beim naturnahen Gärtnern die ausschließliche Verwendung heimischer Gewächse zum Prinzip, ja zur Ideologie hochstilisieren". Von Invasoren, Eindringlingen zu sprechen, möge er weder bei Menschen noch bei Pflanzen. So finden sich in seinem Garten durchaus Züchtungen von Stauden und Gehölzen aus anderen Ländern, die "eben einen solchen Boden mögen".

Der Reiz dieser Art von gegenwärtigem Gärtnern besteht für Matschiess darin, zu beobachten, ob und wie Stauden sich vergesellschaften. Manchmal mit einem durchaus erwünschten Nebeneffekt: Seine Stauden haben den ungeliebten Giersch, der sonst gern alles überwuchert, verdrängt.

So sehr Matschiess gegen Prinzipienreiterei ist, so sehr vertritt er ein Prinzip: "Rückschnitte, wenn überhaupt, nur dann, wenn es den Pflanzen gut tut." Also nicht im Herbst. Ergebnis: Stauden, Gräser und Gehölze prägen das winterliche Bild, mit Süßholzgewächsen etwa, mit Malve, Knöterich und Wiesenknopf, Distel und Lobelie, meist in Horsten. Manche stehen aufrecht, andere sind abgeknickt und wirken müde. Sie lassen ahnen, dass sie vergehen, um Neues sprießen zu lassen.

Info In seinem Buch "Avantgardenig. Plädoyer für gegenwärtiges Gärtnern" mit prächtigen Fotos von Jürgen Becker beschreibt Torsten Matschiess auf 192 Seiten seinen Garten und die Pflanzengesellschaften darin. Verlag Ulmer, 29,90 Euro, im Buchhandel.

(jobu)