Viersen Der Klassenbeste kommt aus Pakistan

Viersen · Reinhard Fimmers gibt Flüchtlingen neben der Arbeit Deutschunterricht, obwohl er selbst an Burnout erkrankt ist.

 Auf einer Flip-Chart hält Reinhard Fimmers den Unterrichtsstoff fest.

Auf einer Flip-Chart hält Reinhard Fimmers den Unterrichtsstoff fest.

Foto: busch

Die beiden Damen mustern die Umgebung mit ihren Blicken. Sie sind mit dem Rad unterwegs. Nach links ist der Ausblick malerisch; dort liegen Felder, Wiesen und am Horizont ein Bauernhof. Rechts, hinter einem kleinen Wall, der das bauliche Übel verdecken soll, liegt die Flüchtlingsunterkunft, die die Blicke der beiden Passantinnen magisch anzieht. Die Damen fahren schweigend davon. Ihre Körpersprache sagt irgendetwas zwischen "Bloß weg von hier" und "Die armen Leute". Die Flüchtlingsunterkunft ist von außen betrachtet kein Ort, der zum Verbleib einlädt.

Trotzdem ist Reinhard Fimmers gerne hier. Zweimal pro Woche kommt der Viersener in die Siedlung in Süchteln, um den dort lebenden Männern Sprachunterricht zu geben. Der 55-Jährige ist kein ausgebildeter Lehrer, bezahlt wird er für die Arbeit auch nicht, er ist Ehrenamtler. Die Arbeit mit den Menschen sei ihm eine Herzensangelegenheit, sagt er. Er wolle helfen, jetzt, wo er das wieder kann.

Vor wenigen Jahren war Fimmers schwer erkrankt; er erlitt einen Burnout, das heißt: Die Belastungen des Alltags wurden ihm zu viel. Zwei Jahre lang musste er mit der Arbeit aussetzen. Ins Erwerbsleben tastete er sich danach langsam zurück, er arbeitete zur Wiedereingliederung zunächst in Teilzeit. Und in dieser Phase wurde ihm klar: Ich möchte mit Flüchtlingen arbeiten. Früher habe er einmal den Traum gehabt im Auswärtigen Amt zu arbeiten, erzählt er. Fimmers informierte sich und machte eine Schulung.

Jeden Mittwoch steht der 55-Jährige nun mit den Fortgeschrittenen im Klassenzimmer, samstags sind die Anfänger dran. Der Raum wird ansonsten als Lagerraum genutzt. Vor der Tür liegen einige Säcke mit Kleidung. Im Klassenzimmer, das in einem der Wohncontainer gleich am Eingang liegt, herrscht Baustellen-Ambiente. Die Wände sind mit Linoleum in Holzoptik überzogen. Kein Stuhl ist wie der andere. Auch die Tische sind zusammengewürfelt. Die Einrichtung ist wie eine Metapher, denn auch in der Klasse ist keiner wie der andere.

Die Gemeinschaft besteht aus Menschen aus aller Herren Länder. Einige kommen aus Guinea, andere aus Eritra, Syrien, Pakistan oder Albanien. So wie Taulant (Namen von der Redaktion geändert), der erst eine Woche in der Unterkunft in Süchteln lebt. Taulant spricht wie viele andere Teilnehmer fließend Englisch und scheut sich nicht, immer wieder nachzufragen. Fimmers antwortet auf Englisch. Taulant, der wohl Mitte zwanzig ist, macht sich Notizen. Eigentlich alle Schüler sprechen Englisch, viele haben Vorbildung.

In der ersten Reihe sitzt Mushtag. Vor der Stunde erzählt er von seiner Herkunft. Er stamme aus Pakistan. Dort sei er in einer Bank tätig gewesen. "In der Heimat hatten wir Arbeit und Hobbys, hier schlafen wir nur und langweilen uns", hatte er geklagt. In der Klasse ist er einer der Aktivsten. Die Aussprache macht ihm noch Probleme.

Fimmers macht die Arbeit Spaß. Hauptamtlich ist er Büroleiter in einem Notariat. "Dort habe ich viel mit Akten zu tun, vieles ist Organisation. Und das bedeutet Stress", sagt er. 40 Stunden und mehr arbeitet er inzwischen wieder, dazu die Arbeit mit den Flüchtlingen - trotz Burnouts. "Das hier ist für mich kein Stress", sagt der 55-Jährige. "Es kommt ja auch etwas zurück." Ein Mann, der aus einem der Container kommt, grüßt ihn freundlich.

Der Klassenbeste ist ein Mann aus Pakistan. Er ist mit 41 Jahren einer der ältesten der Gruppe und war Fimmers erster Schüler. Andere Teilnehmer begrüßt er mit einem akzentfreien "Guten Abend". Das ist, was Fimmers den Flüchtlingen als erstes beigebracht hat. "Wir üben Grußformeln und Alltägliches, damit die Leute lernen, sich selbst mitzuteilen", sagt er.

Zunächst seien nur wenige zum Unterricht gekommen, mit der Zeit aber habe sich das Angebot herumgesprochen. "Vergangene Woche hatten wir mit 16 Teilnehmern unseren Rekord", erzählt Fimmers, der sich für die Stunden Unterrichtsmaterialien ausgedruckt hat. Vor den Kursen gibt es eine Anwesenheitsliste, darauf die Namen der Schüler aus aller Welt, einige gekritzelt, andere sauber niedergeschrieben.

Hinter der Tafel, auf der Fimmers einige unregelmäßige Verben aufgeschrieben hat, hängt wie in vielen deutschen Klassenzimmern eine Weltkarte. In diesem aber, in einer Containersiedlung für Flüchtlinge in Viersen, wirkt sie wie eine Botschaft.

(RP)
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