Schwalmtal "Das war vorherzusehen"

Schwalmtal · Nach den tödlichen Schüssen von Schwalmtal-Amern sind die Anwohner fassungslos. Angehörige des tatverdächtigen 71-Jährigen erheben schwere Vorwürfe gegen die Mönchengladbacher Justiz. Ihrer Meinung nach wäre die Tat zu verhindern gewesen. Derweil versucht die Spurensicherung der Polizei, den Tathergang zu rekonstruieren.

 Hans P. bei seiner Ergreifung in Schwalmtal. Er hat kurz zuvor drei Menschen erschossen.

Hans P. bei seiner Ergreifung in Schwalmtal. Er hat kurz zuvor drei Menschen erschossen.

Foto: Theo Titz/RPO

Am Morgen nach dem Amoklauf im Schwalmtaler Ortsteil Amern sind die Menschen wie gelähmt. Fernsehteams haben sich am Margeritenweg postiert, die Polizei hat das Haus, in dem die Tragödie geschah, abgesperrt. "Wir sind schockiert, dass so etwas hier passieren konnte", sagt Tanja Mühling, eine Anwohnerin. Dabei gab es öfter Streit in dem Haus, berichten Nachbarn. Die 23-jährige Nadine Berger saß am Fenster ihres Elternhauses, als die Schüsse fielen. "Erst hörte ich Schüsse, später Schreie. Dann kam der Mann auf unser Haus zugerannt." Sie versorgte den schwer verletzten Gutachter Bernd P. aus Mönchengladbach, rief den Krankenwagen. "Es war furchtbar, er wollte Wasser und ein Telefon, um seine Frau anzurufen."

Unterdessen bemühen sich Spurensicherer der Polizei, den Tathergang zu rekonstruieren. Sicher ist bislang Folgendes: Um 16.28 Uhr geht bei der Polizei der Anruf ein, dass Schüsse in einem Haus in Schwalmtal gefallen sind, und dass es Verletzte, vielleicht Tote gebe. "Wir haben das zunächst als Amok-lage eingestuft, weil die genaue Position des Täters nicht klar war", so der Leitende Düsseldorfer Kriminaldirektor Jürgen Schneider.

Alles zum Familiendrama von Schwalmtal

Die Polizei beordert mehr als 200 Beamte nach Schwalmtal, darunter auch ein Sondereinsatzkommando (SEK). Gegen 17.30 Uhr geht bei einem Freund von Barbara K., der Tochter des Täters Hans P., ein Anruf ein. Barbara K. berichtet von Toten und Schüssen, und dass man sie aus dem Haus holen solle. "Ab diesem Zeitpunkt wussten wir, wo der Täter ist", sagt Schneider. Die Polizei bemüht sich um eine Kontaktaufnahme, spricht durch ein Fenster mit Hans P. Um 19.30 Uhr hält er ein weißes Hemd aus dem Fenster, als Signal, dass er sich ergeben will. Die Polizei nimmt P. fest. Vom Eintreffen der Polizei am Tatort an sind keine Schüsse mehr gefallen.

Enkel erzählt von Hans P.s Gewaltausbrüchen

Finanzielle Nöte

Beim Auszug kommt es zu einem ersten Gewaltakt: "Mein Großvater hat mich zusammengeschlagen", so Christoph K.. Tatsächlich diagnostiziert ein Mediziner zahlreiche Prellungen. Vater und Sohn erstatten Anzeige, aber das Verfahren verläuft im Sande, weil, so Christoph, die Mutter als einzige Zeugin ausgesagt habe, dass ihr Sohn sich die Verletzungen beim Sturz von der Treppe zugezogen habe.

Mit dem Baseballschläger verprügelt

Am 21. April 2006 kommt es zu einem folgenschweren Zwischenfall. Hans P. gerät mit Gisela B., einer Tante seines Schwiegersohns und einer weiteren Bekannten aneinander. Der 1,90 Meter große, korpulente P. schlägt der zierlichen, 1,50 Zentimeter kleinen Rentnerin B. mit einem Baseballschläger auf den Kopf. Die Frau erleidet ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und eine offene Wunde am Kopf.

Verfahren eingestellt

Gegen die Einstellung des Verfahrens erhebt der Anwalt Gisela B.s Einspruch. Das Landgericht bestätigt die Einstellung, weist die Staatsanwaltschaft aber an, eine Zwangseinweisung P.s in eine psychiatrische Klinik zu überprüfen. Doch ein Gutachter hält P. im Februar 2009 für nicht allgemeingefährlich. Ein Richter entscheidet: Der Mann bleibt in Freiheit. Sein Enkel sieht ein Versagen der Behörden: "Ich bin wütend. Die Bluttat war vorhersehbar. Hätte die Justiz richtig gehandelt, wäre es nicht zu den tödlichen Schüssen gekommen." Ein Sprecher des Landgerichts Mönchengladbach weist die Anschuldigungen zurück: "Eine zwangsweise Unterbringung war wegen des Gutachtens nicht möglich, eine strafrechtliche Verfolgung ebenfalls nicht." Auch das Justizministerium sieht nach erster Prüfung keinen Anlass für ein Fehlverhalten.

(RP)
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